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Christen und Juden III - Schritte der Erneuerung im Verhältnis zum Judentum
Evangelische Kirche in Deutschland
Alemania (2000/03/14)
Vorwort
Mit der Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) "Christen und Juden III. Schritte der Erneuerung im Verhältnis zum Judentum" wird die Reihe der Studien fortgesetzt und abgeschlossen, die mit "Christen und Juden (I)" von 1975 und "Christen und Juden II. Zur theologischen Neuorientierung im Verhältnis zum Judentum" von 1991 begonnen hat. Mit diesen Texten, die im Auftrag des Rates von der Studienkommission Kirche und Judentum erarbeitet worden sind, will die EKD Beiträge leisten zur Neubesinnung der Kirche im Blick auf ihr Verhältnis zum Judentum. Die Studie I hatte sich der Aufgabe gestellt, ein Bewußtsein zu schaffen und zu vertiefen für die gemeinsamen Wurzeln von Christentum und Judentum, für das Auseinandergehen der Wege und für die vielgestaltige Problemlage, mit der wir es heute zu tun haben. Die Studie II blickte dann bereits auf die Erklärungen von acht Gliedkirchen der EKD zurück, die, angefangen mit der Erklärung der Evangelischen Kirche im Rheinland von 1980, Gedanken der Studie I aufgegriffen und fortgeführt hatten. Es konnte jetzt bereits von einem "bisher erreichten Konsens" gesprochen werden. Einen besonderen Schwerpunkt der Studie II bildete die Untersuchung des Begriffs "Volk Gottes" - stellt er einen Schlüssel dar für eine theologische Zuordnung von Kirche und Judentum?
Die Studie III fasst wiederum den Ertrag des seitherigen weiteren Nachdenkens im Bereich der Gliedkirchen der EKD zusammen. Sieben Gliedkirchen haben Aussagen zum Verhältnis von Christen und Juden nicht nur gemacht, sondern diese zugleich in ihre Grundordnungen aufgenommen. Neun weitere Gliedkirchen haben synodale Erklärungen zum Verhältnis von Christen und Juden teils neu, teils abermals veröffentlicht. Einen Schwerpunkt der neuen Studie bildet die Frage: Was leistet der Begriff "Bund" für eine sachgemäße theologische Zuordnung von Kirche und Judentum? Angepackt wird ferner das brennende Problem der sogenannten "Judenmission": Erlaubt, ja gebietet die leidvolle und schuldbeladene Geschichte der Kirche in ihrem Verhältnis zum Judentum heute den Verzicht auf eine organisierte, gesonderte Judenmission - ohne dass damit die universelle Geltung der christlichen Verkündigung, die auch Juden nicht ausschließt, in Frage gestellt wird? Im Blick auf die Spannungen zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern stellt sich die Studie der Frage: Wie lässt sich die alttestamentliche Verheißung des Landes, die mit der Zusage des Bundes Gottes an Israel so eng verknüpft ist, verstehen - ohne dass daraus eine christliche Bestätigung von territorialen Ansprüchen jüdischer Gruppen oder eine religiöse Überhöhung des Staates Israel abgeleitet wird? Die Überlegungen, die zu diesen Fragen in der Studie angestellt werden, und die Antworten, die sie zu geben versucht, sind auf einen möglichst breiten Konsens innerhalb der EKD angelegt. Dennoch wird die Zustimmung dazu - wie auch im Rat der EKD - nicht einhellig, sondern differenziert ausfallen.
Wie schon die vorangehenden Studien kann auch die vorliegende Studie nicht in Anspruch nehmen, alle wesentlichen Fragen behandelt oder gar gelöst zu haben. Der Rat der EKD hat den von der Studienkommission ausgearbeiteten Text eingehend, zu manchen Punkten auch kontrovers, beraten. In der Frage der Auslegung einzelner Bibelstellen bleibt schon der Natur der Sache nach Raum für unterschiedliche Auffassungen. Der Rat will mit der Studie III zur Auseinandersetzung einladen, Positionen nicht ausgrenzen, sondern sie auf ihre Konsensfähigkeit ansprechen, Schwerpunkte setzen und Signale geben für weitere Schritte der Erneuerung im Verhältnis zum Judentum.
Der Weg, den wir in unserem Verhältnis zum Judentum zu gehen haben, als Kirchen, als Gemeinden, als interessierte Einzelne, als Theologen oder Nichttheologen, bedarf weiterer Schritte. Dafür möchte die neue Studie hilfreich sein. Der Rat übergibt sie den Gemeinden und allen interessierten Leserinnen und Lesern in der Hoffnung, daß die Neubesinnung der Kirche auf ihr Verhältnis zum Judentum an theologischer Tiefe gewinnt und das Gespräch zwischen Christen und Juden neue Impulse erfährt.
Hannover, den 14. März 2000
Präses Manfred Kock
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
1. Die Entwicklung seit Studie II
1.1 Die Entscheidungen der Landeskirchen, besonders im Blick auf ihre Grundordnungen
Zu den am meisten beachteten Teilen der Studie II aus dem Jahre 1991 gehört der Abschnitt "Der bisher erreichte Konsens". Auf der Grundlage der seit 1975 erschienenen offiziellen Erklärungen der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) war festgestellt worden: In den folgenden Fragen hat sich ein Einverständnis herausgebildet, das für alle Gliedkirchen gelten kann. Dabei wurden fünf Punkte benannt:
• Die Absage an den Antisemitismus
• Das Eingeständnis christlicher Mitverantwortung und Schuld am Holocaust
• Die Erkenntnis der unlösbaren Verbindung des christlichen Glaubens mit dem Judentum
• Die Anerkennung der bleibenden Erwählung Israels
• Die Bejahung des Staates Israel
Was in den kirchlichen Erklärungen als Konsens zum Ausdruck kommt, hat sich auch in der Breite kirchlicher Meinungsäußerungen weitgehend durchgesetzt. Dies gilt nicht nur für die Gliedkirchen der EKD, sondern auch für die evangelischen Freikirchen. Und es kann weitgehend auch für die römisch-katholische Kirche vorausgesetzt werden. Allerdings gibt es durchaus auch Rückfragen, in einzelnen Punkten sogar Widerspruch. Unterschiedlich wird zudem beurteilt, was aus den Konsensaussagen zu folgern ist. Weitere Klarstellungen sind darum notwendig. Der Konsens muß sowohl befestigt wie vertieft werden. Zur Verankerung des Konsenses haben eine Reihe von Gliedkirchen der EKD Änderungen in ihren Grundordnungen vorgenommen. Zu seiner Vertiefung haben andere Gliedkirchen Erklärungen erarbeitet und veröffentlicht.
1.1.1 Änderungen der Grundordnungen
Aussagen zum Verhältnis von Kirche und Judentum, von Christen und Juden, hatten bisher die Form kirchlicher Erklärungen angenommen. Eine Ausnahme macht lediglich die Evangelisch-reformierte Kirche, die bereits im Jahre 1988 eine solche Aussage in ihre Kirchenverfassung aufgenommen hat. Ihr folgten inzwischen die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (1991), die Evangelische Kirche der Pfalz (1995), die Evangelische Kirche im Rheinland (1996), die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg (1996), die Pommersche Evangelische Kirche (1997) und die Lippische Landeskirche (1998). Es ging darum, Aussagen zum Verhältnis von Kirche und Judentum zu den Grundartikeln der Kirche selber zu zählen und sie entsprechend in den Kirchenverfassungen zu verankern. Die Aussagen kommen dabei nicht nur zu stehen in den Abschnitten der Kirchenverfassungen, die die Aufgaben der Kirche benennen, sondern vor allem in den Teilen, die das Wesen und das Bekenntnis der Kirche beschreiben. Naturgemäß sind solche Formulierungen knapp. Sie beschränken sich auf das, was in den Synoden breite Zustimmung zu finden vermag.
Im folgenden werden die Aussagen nach ihrer Häufigkeit angeordnet, wie sie in den Neuformulierungen anzutreffen sind.
Die bleibende Verbundenheit der Kirche mit dem jüdischen Volk
Die Hauptaussage der Ergänzungen in den Kirchenordnungen ist die von der bleibenden und notwendigen Verbundenheit der Kirche mit Israel. "Deshalb gehört es zum Wesen und Auftrag der Kirche, Begegnung und Versöhnung mit dem Volk Israel zu suchen"; Aufgabe der Synode ist es, "das Gespräch mit Juden zu suchen und die Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft zu fördern" (Ev-ref. Kirche). "Sie weiß sich zur Anteilnahme am Weg des jüdischen Volkes verpflichtet. Sie bleibt ... mit ihm verbunden" (Berlin-Brandenburg und Pomern). Eine theologisch profilierte Aussage der Verbundenheit ist es, wenn die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau sagt: "Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dies Zeugnis (nämlich das von der bleibenden Erwählung der Juden) ein."
Die bleibende Erwählung Israels
Die Aussage vom Bund Gottes mit Israel, d. h. von der bleibenden Erwählung Israels bzw. von der bleibenden Verheißung Gottes für sein Volk Israel ist das theologisch tragende Element aller Neuformulierungen in den Kirchenverfassungen. "Gott hat Israel zu seinem Volk erwählt und nie verworfen" (Ev.-ref. Kirche). Die Kirche "bezeugt die Treue Gottes, der an der Erwählung seines Volkes Israel festhält" (Ev. Kirche im Rheinland). "Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen, bezeugt sie (die Kirche) neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen" (Ev. Kirche in Hessen und Nassau). "Sie erkennt und erinnert daran, dass Gottes Verheißung für sein Volk Israel gültig bleibt" (Berlin-Brandenburg und Pommern). Das Bekenntnis zu Gott erhält eine weitere nähere Bestimmung durch den Hinweis: "der ... sein Volk Israel erwählt hat und ihm die Treue hält" (Lippische Landeskirche).
Die Absage an den Antisemitismus
Diese Absage ist mehr als alle andern Aussagen inzwischen kirchliches Gemeingut geworden und wird gelegentlich in den Ergänzungen der Kirchenverfassungen hier und da aufgegriffen. "Zur Umkehr gerufen ... tritt (die Kirche) jeder Form von Judenfeindschaft entgegen" (Ev. Kirche der Pfalz). Die Gesamtsynode hat "dem Antisemitismus zu widersprechen" (Ev.-ref. Kirche). In den Aussagen über die Verbundenheit von Kirche und Judentum ist die Absage an den Antisemitismus stets mit enthalten.
Von der Mitverantwortung und Schuld am Holocaust sprechen die geänderten Grundordnungstexte eher indirekt, aber doch deutlich, z. B. wenn die Kirche sich "aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen" weiß (Ev. Kirche in Hessen und Nassau).
Die These von der Hineinnahme in den Bund Israels
Die Ev.-ref. Kirche sagt: Gott "hat in Jesus Christus die Kirche in seinen Bund hineingenommen". Eine anders akzentuierte Formulierung hat die Ev. Kirche der Pfalz gefunden: "Durch ihren Herrn Jesus Christus weiß sie (die Kirche) sich hineingenommen in die Verheißungsgeschichte Gottes mit seinem ersterwählten Volk Israel": In den übrigen Neuformulierungen der Kirchenverfassungen wird eine solche Formulierung nicht verwendet (s. Teil 2 dieser Studie).
Weitere Aussagen
Neu gegenüber dem bis dahin zu erkennenden Konsens ist der Hinblick auf Gottes zukünftiges Handeln. Die Ev. Kirche im Rheinland stellt als wichtiges Element der Verbundenheit von Kirche und Israel die eschatologische Erwartung heraus: "Mit Israel hofft sie auf einen neuen Himmel und eine neue Erde." Berlin-Brandenburg und Pommern sagen: Die Kirche "bleibt ... in der Hoffnung auf die Vollendung der Gottesherrschaft mit ihm (Israel) verbunden".
Ein weiteres Element der Gemeinsamkeit, auf das hingewiesen wird, ist das Hören auf Gottes Weisung: Die Tora hat Bedeutung sowohl für Juden wie für Christen (Berlin-Brandenburg und Pommern).
1.1.2 Neue Erklärungen
Zur Vertiefung des Konsenses haben jene Kirchen wichtige Beiträge geleistet, die seit Studie II neue Erklärungen zum Verhältnis von Kirche und Israel beschlossen und veröffentlicht haben. Es sind dies die Ev.-ref. Kirche (1992), die Ev.-.Luth. Kirche in Oldenburg (1993), die Ev. Kirche von Westfalen (1994 und 1999), die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers (1995), die Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck (1997), die Evang.-Luth. Kirche in Bayern, die Lippische Landeskirche und die Evang.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs (alle 1998). Die angeführten Erklärungen setzen den in Studie II skizzierten Konsens voraus, teilweise nehmen sie ausdrücklich und ausführlich darauf Bezug (Oldenburg, Kurhessen-Waldeck, Bayern).
Die Überwindung der Entfremdung vom Judentum
In Studie II ist dies die gemeinsame Überschrift der Abschnitte zu Antisemitismus und zum Holocaust. Dies bleibt das Hauptanliegen der Texte. Die Erklärungen sind vom ausdrücklichen Willen zur Umkehr geprägt. Die Verflochtenheit der Kirche in die Vorgeschichte des Holocaust kommt zum Ausdruck (Oldenburg, Bayern), die Verpflichtung, Antisemitismus und Antijudaismus entgegenzutreten, wird in allen Erklärungen betont. Antijudaismus wird als dem innersten Wesen des christlichen Glaubens entgegengesetzt erkannt (Bayern).
Die bleibende Verbundenheit der Kirche mit Israel
Was als Verbindendes schon bisher Konsens war, wird konkreter benannt. Als Stichworte dafür werden in den Erklärungen mehrfach genannt: die Heilige Schrift, die Schöpfung, die Treue Gottes, die Ethik des Doppelgebots der Liebe, die Vollendung der Welt (Oldenburg), der ungekündigte Bund (Hannover), der Glaube an den einen Gott, die Existenz als Volk Gottes, die jüdische Herkunft Jesu, das Einstehen für Frieden und Gerechtigkeit, die Erwartung eines neuen Himmels und einer neuen Erde (Kurhessen-Waldeck), das Bekenntnis zu dem einen Gott, dem Schöpfer und Erlöser, der Gottesdienst als Ausdrucksform des Glaubens, die Wechselbeziehungen zwischen Gerechtigkeit und Liebe (Bayern).
Das Unterscheidende
In den Erklärungen werden auch Merkmale hervorgehoben, die die Kirche vom Judentum unterscheiden. Das geschieht in pointierten Aussagen aus der Christologie, der Ekklesiologie und der Rechtfertigungslehre. Genannt werden z.B. die Bindung der Kirche an Jesus Christus, sein Kreuz, seine Auferstehung, sein Richtersein (Oldenburg), die Existenz der Christen als neue Kreatur, die Kirche als Leib Christi (Kurhessen-Waldeck). "Das Bekenntnis zu Jesus Christus, der um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt ist (Röm 4,25) trennt Christen und Juden" (Bayern). Die Hannoversche Erklärung dagegen stellt Fragen: Wie verhält sich die Berufung der Kirche aus Juden und Heiden zur Erwählung Israels? Inwiefern erlaubt die christliche Überzeugung, dass in Jesus Christus das Heil aller Menschen erschienen ist, einen offenen Dialog mit Juden? Was bedeutet es für das jüdisch-christliche Gespräch, dass beide Seiten dieselben Texte, das Alte Testament, die Hebräische Bibel, unterschiedlich auslegen?
Zur Judenmission
Formulierungen der Rheinischen Synodalerklärung von 1980 aufnehmend und fortführend stellt die Erklärung der Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen (1999) fest: "Juden und Christen bezeugen je für sich und füreinander die Treue Gottes, von der sie beide leben. Deshalb achten Christinnen und Christen jüdische Menschen als Schwestern und Brüder im Glauben an den Einen Gott. Der offene Dialog über Gottes Gnade und Wahrheit gehört zum Wesensmerkmal der Begegnung von Christen mit Juden. Diese Einsichten lassen nicht zu, dass Christen Juden auf den christlichen Glauben verpflichten wollen. Deshalb dstanziert sich die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen von jeglicher Judenmission."
Schon vorher hat die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg in ihrer Synodalerklärung von 1990 festgestellt: "Deshalb ist es heute unsere Aufgabe herauszufinden, wie wir Jesus Christus allen bezeugen können, ohne die heilsgeschichtlich einmalige Stellung des jüdischen Volkes zu nivellieren oder zu negieren. Eine Judenmission lehnen wir ab."
Der Staat Israel
Die Stellung zum Staat Israel ist Anlaß und Inhalt einer Erklärung der Ev.-ref. Kirche: "Die Rückkehr der Juden in das Land Israel und ihr Wohnen in diesem Land stehen in unlösbarem Zusammenhang mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift und der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Deshalb wenden wir uns entschieden gegen alle Bestrebungen, die Israel eine freie und unabhängige Existenz absprechen." Nicht unmittelbar vom biblischen Zeugnis, sondern von der christlichen Verantwortung her argumentiert die Erklärung von Kurhessen-Waldeck, wenn sie sagt: zu dieser "gehört das Bemühen darum, dass der Staat Israel mit seinen Nachbarn - insbesondere mit dem palästinensischen Volk - in gegenseitiger Achtung des Heimatrechts einen sicheren Frieden findet". Ähnlich formuliert die Bayerische Erklärung: "Christen unterstützen das Bestreben des jüdischen Volkes nach einer gesicherten Existenz in einem eigenen Staat. Zugleich sorgen sie sich um eine Friedenslösung im Nahen Osten, die die Rechte auch der Palästinenser und insbesondere der Christen unter ihnen einschließt und Sicherheit für alle dort lebenden Menschen gewährleistet." Die Westfälische Kirche verdeutlicht, dass sie in ihrer Synodalerklärung von 1999 mit "Israel" das Volk Gottes in biblischem Sinne meint. Sie hebt hervor: "Es ist also nicht der Staat Israel gemeint und keine Stellungnahme zu den politischen Konflikten des Nahen Ostens beabsichtigt. Die ökumenische Verbundenheit mit den Kirchen des Nahen Ostens fordert uns heraus, die berechtigten Anliegen von Israelis und Palästinensern auch künftig im Blick zu behalten."
Konsequenzen für die Praxis
Für die jüngeren Texte ist typisch, dass sie sich auch auf praktische Fragen beziehen. Die Ev. Kirche von Westfalen und die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche haben in ihren Gemeinden einen Gesprächsprozess in Gang gebracht, der sowohl die strittigen theologischen Themen wie deren Bedeutung für das Selbstverständnis der Kirche zum Inhalt hat. Die Oldenburgische und die Hannoversche Erklärung empfehlen besondere Sensibilität für den christlichen Sprachgebrauch im Gottesdienst und im Alltag, die Unterstützung bei der Erhaltung jüdischer Friedhöfe, das Studium des Judentums und seiner Geschichte. Die Geschichte der eigenen Landeskirche in der NS-Zeit und die daraus zu ziehenden Lehren werden in mehreren Erklärungen ins Auge gefaßt (Hannover, Mecklenburg). Die Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck ersucht ihre Gemeindeglieder, "sich in ihrem Zeugnis und in den Begegnungen vom Respekt vor der Glaubenserfahrung Israels leiten zu lassen und so Wege zu finden, Gott gemeinsam zu loben". Die Evang.-Luth. Kirche in Bayern entfaltet ein Programm der Wahrnehmung des Judentums und der Begegnung mit ihm auf allen kirchlichen Ebenen, besonders auf der Ebene der Aus- und Fortbildung.
1.2 Die Entwicklung jüdischen Lebens in Deutschland
1.2.1 Starke Zuwanderung in den neunziger Jahren
Nachdem bereits in den 80er Jahren Juden aus der Sowjetunion in Deutschland Aufnahme gefunden hatten, veränderte sich die Situation grundlegend durch die Entscheidung der ersten frei gewählten DDR-Regierung Mitte 1990, Juden aus der früheren Sowjetunion in größerer Zahl die Einwanderung zu eröffnen. Nach der Herstellung der Einheit Deutschlands wurde diese Entscheidung von der Bundesregierung übernommen und die russischen Juden als "Kontingentflüchtlinge" anerkannt. Auf diese Weise sind im letzten Jahrzehnt etwa 50.000 Juden aus der früheren Sowjetunion nach Deutschland gekommen, von denen allerdings nicht wenige in andere Länder weiter gewandert sind oder sich keiner jüdischen Gemeinde angeschlossen haben. Die Gesamtzahl der Juden in Deutschland ist auf über 80.000 angestiegen.
Diese Entwicklung hat für die jüdischen Gemeinden zu einschneidenden Veränderungen geführt. Die bestehenden Gemeinden gewannen neue Mitglieder aus allen Altersgruppen, was zur Verdoppelung oder gar Vervielfachung ihrer Mitgliedszahlen führte. Darüber hinaus haben sich an vielen weiteren Orten neue Gemeinden gebildet, die ebenfalls beachtliche Mitgliederzahlen erreicht haben. Häufig knüpften sie an Traditionen aus der Zeit vor der NS-Herrschaft an. Wo es noch keine Staatsverträge zwischen Bundesländern und jüdischen Gemeinden gab, sind diese inzwischen abgeschlossen worden oder in Vorbereitung; alte Verträge wurden den neuen Verhältnissen angepaßt. Auch einige wissenschaftliche und pädagogische Institutionen konnten mit staatlicher Hilfe errichtet und finanziell abgesichert werden.
Die jüdischen Gemeinden sehen sich durch diese Entwicklung vor gewaltige Herausforderungen gestellt. Die meisten Zuwanderer waren in der Sowjetzeit jüdischem Gottesdienst und jüdischem Leben entfremdet; sie müssen an jüdische Traditionen erst wieder herangeführt werden. Die jüdische Identität der Zuwanderer ist zudem nicht in allen Fällen geklärt. Auch die sprachliche und berufliche Integration der Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft stellt vor große Probleme. Diese Integrationsprozesse sind noch längst nicht abgeschlossen und nehmen in den jüdischen Gemeinden viel Kraft und Zeit in Anspruch.
Andererseits haben die Zuwanderer auch viele neue Impulse gegeben. Durch die große Zahl von Kindern und Jugendlichen unter ihnen hat sich die Altersstruktur der jüdischen Gemeinden sehr verändert. So wurden neue jüdische Kindergärten und Schulen eingerichtet und Jugendgruppen gegründet.
1.2.2 Größere Vielfalt in den Gemeinden
Die mit der Zuwanderung verbundene Stärkung des Judentums hat in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland eine größere Vielfalt entstehen lassen. Nach 1945 erschienen angesichts der geringen Mitgliederzahlen nur "Einheitsgemeinden" möglich, in denen sich der Gottesdienst am orthodoxen jüdischen Ritus ausrichtete, auch wenn bei weitem nicht alle Mitglieder dieser Richtung zuneigten. Inzwischen gibt es Grossstadtgemeinden mit mehreren Synagogen, wie z.B. Berlin, wo in bestimmten Synagogen die Gottesdienste nach orthodoxem, in anderen nach einem Reform-Ritus gehalten werden. In kleineren Gemeinden mit nur einer Synagoge werden die Gottesdienste zum Teil abwechselnd in der einen oder anderen Form gehalten, oder man teilt die Gottesdienste nach dem Größenanteil auf Synagoge und Betstube auf oder weicht auf neutrale Räume aus. Unverkennbar ist, dass das religiös-liberale Judentum, das im 19. Jahrhundert von Deutschland ausgegangen war, hierzulande wieder Fuß fasst. Ein eigenes Gebetbuch mit deutscher Übersetzung ist erschienen. In Niedersachsen hat sich ein liberaler Landesverband gebildet. Ebenso haben sich auf der entgegengesetzten Seite des Spektrums orthodoxe Gemeinden (wie "Adass Jissroel" in Berlin) (wieder)gegründet; auch ein Verband "gesetzestreuer" Jüdischer Gemeinden ist entstanden. Bei der Prägung der Gemeinden spielen die Kantoren und Rabbiner eine wichtige Rolle. Unter ihnen heben sich die Anhänger der Lubawitscher Chassidim als besondere Gruppe heraus. Auch hier ist die Entwicklung noch im Fluß. Das Bild des religiösen Judentums in Deutschland ist jedenfalls deutlich vielfältiger - und zugleich unübersichtlicher - geworden.
Im Zusammenhang mit der Integration der Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion und der Herausbildung von Richtungsgemeinden ist es in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland verständlicherweise an nicht wenigen Orten zu erheblichen Spannungen gekommen. Es steht jedoch zu hoffen, dass die Integration der Zuwanderer allmählich doch gelingt und die Entwicklung größerer Vielfalt innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu einer Bereicherung des religiösen Lebens in Deutschland wird.
In der jüdischen Gemeinschaft wird nach wie vor darüber diskutiert, wie die in Deutschland lebenden Juden ihre Identität bestimmen wollen - als "Juden in Deutschland", "deutsche Juden" oder als "deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens". Für letztere Definition hat sich besonders der verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, eingesetzt.
1.2.3 Auswirkungen auf das christlich-jüdische Verhältnis
Die Veränderungen innerhalb der jüdischen Gemeinden haben auch Auswirkungen auf das christlich-jüdische Verhältnis in Deutschland. Die Generation der Juden, die nach der Schrec kenszeit der Schoa wieder nach Deutschland kam und hier den Dialog mit Christen aufnahm und trug, steht immer weniger zur Verfügung. Die Beanspruchung der Juden durch ihre enormen internen Integrationsaufgaben führt bei den Jüngeren dazu, dass sie nur in deutlich eingeschränktem Maß zu einem Dialog in der Lage sind. Der Generationenwechsel zieht auch andere Fragestellungen und eine veränderte Interessenlage nach sich. Jüdische Gemeinden sind immer wieder alarmiert durch Anzeichen einer hier und da auftretenden Judenmission. Diese Ängste und Befürchtungen dürfen von christlicher Seite nicht überhört werden; sie sind ernst zu nehmen (vgl. 3).
Immer noch und immer wieder werden Jüdinnen und Juden als Fremde empfunden und abgelehnt. Jüdische Friedhöfe werden nach wie vor zu Orten fremdenfeindlicher Exzesse. Die Gefahr des Antisemitismus ist noch nicht überwunden. Darum bedarf dieser Bereich weiterhin besonderer Aufmerksamkeit (vgl. 4.1.3).
2. Der Bund Gottes
2.1 Offene Fragen
"Eine Auffassung, nach der der Bund Gottes mit Israel gekündigt und die Juden verworfen seien, wird nirgends mehr vertreten." Dieser Satz aus Studie II schreibt ein wichtiges Zwischenergebnis des theologischen Diskussions- und Klärungsprozesses der letzten Jahrzehnte fest. Die Einsicht, dass Gottes Bund mit Israel ungekündigt ist, hat sich überall da durchgesetzt, wo Christen sich ernsthaft mit dem Verhältnis von Christen und Juden beschäftigt haben. Das biblische Zeugnis, auf das sie sich vor allem stützt, ist die Aussage des Paulus über die bleibende Bundestreue Gottes zu seinem Volk Israel in Röm 11,25-29. Man kann mit Recht von einer Wiederentdeckung dieses für diese Frage zentralen neutestamentlichen Textes sprechen. Die Kapitel 9 bis 11 des Römerbriefs, in denen der Apostel Paulus den Weg und das Geschick Israels bedenkt, werden heute hinsichtlich ihrer theologischen Tragweite neu gewürdigt.
Das kann nicht ohne Folgen für die christliche Sicht des Judentums bleiben. Bis in die Gegenwart hinein war für Christen die Unterscheidung zwischen Kirche und Judentum hauptsächlich an der Unterscheidung von Altem und Neuem Testament, altem und neuem Bund orientiert. Das Judentum galt als das Gottesvolk des alten Bundes, die Kirche als das Gottesvolk des neuen Bundes. Nicht wenige zogen daraus die Folgerung, daß beide "Bünde" nicht nur zeitlich aufeinander folgend, sondern auch einander ausschließend seien. Den alten Bund führte man einseitig auf die Gesetzgebung durch Mose am Sinai zurück und sah in ihm deshalb die Grundlage einer "Gesetzesreligion". Er galt als ersetzt und aufgehoben durch den neuen Bund, der durch die sühnende Selbsthingabe Jesu am Kreuz eingesetzt war (1.Kor 11,25) und der seinem Wesen nach Gnadenbund war. Bezeichnung und Zuordnung der beiden Teile der christlichen Bibel als Altes und Neues Testament spiegeln diese Sichtweise eindrucksvoll und bis in die Alltagssprache hinein wider. Ein solches Konzept ist in seiner klassischen Form spätestens ab dem zweiten Jahrhundert n. Chr. belegt (vgl. z. B. Justin, Dial. 11,2-4). Die daraus gezogene Schlussfolgerung unterstellt: Die Nachkommen jener Juden, die nicht durch den Glauben an Christus den Weg in den neuen Bund gefunden haben, existieren in einem bundlosen Zustand: die Kirche ist stattdessen an Israels Stelle zum einzigen und wahren Volk des Bundes geworden. Die unausweichliche Konsequenz aus diesem tief verinnerlichten Selbstverständnis der Kirche war mindestens die Abwertung des Judentums als einer überholten Religion.
Ist eine dem biblischen Zeugnis angemessenere Verhältnisbestimmung zwischen Judentum und Kirche unter der Leitvorstellung des Bundes möglich? Insbesondere verlangen in diesem Zusammenhang drei
Fragen eine Antwort:
• Da Israel nach wie vor Volk des Bundes ist - in welchem Sinne kann die Kirche ebenfalls Volk des Bundes sein?
• Was besagt das Selbstverständnis der Kirche, Volk des "neuen Bundes" zu sein, wenn Israels Bund durch diesen "neuen Bund" nicht abgelöst ist, sondern weiter besteht? Und mit welchem Recht kann dieser weiter bestehende Bund Israels noch als "alter Bund" gelten?
• Stehen nunmehr zwei Bünde unvermittelt nebeneinander, oder besteht zwischen ihnen letztlich doch eine Einheit?
Die Diskussion darüber wurde ausgelöst durch die Antwort, die die Rheinische Synode in ihrer Synodalerklärung von 1980 dafür vorgeschlagen hat:
"Wir glauben die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Gottes Volk und erkennen, dass die Kirche durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen ist." Ähnlich heißt es in den 1990 von der Hauptversammlung des Reformierten Bundes verabschiedeten Leitsätzen:
"Gott hat seinen Bund mit Israel nicht gekündigt. Wir beginnen zu erkennen: In Christus Jesus sind wir, Menschen aus der Völkerwelt - unserer Herkunft nach fern vom Gott Israels und seinem Volk -, gewürdigt und berufen zur Teilhabe an der Israel zuerst zugesprochenen Erwählung und zur Gemeinschaft im Gottesbund."
Demnach gäbe es auch nach Christus nur einen einzigen Bund, nämlich den Bund Gottes mit Israel. Und die an Christus Glaubenden aus den Weltvölkern hätten um Christi willen Anteil an diesem. Mit der Leitvorstellung des Bundes wäre demnach eine theologisch einleuchtende und unstrittige Zuordnung von Christen und Juden möglich. Das macht die Faszination dieser Formel aus. Aber ist sie wirklich tragfähig? Zweifel hieran sind nicht zuletzt auch von Theologen, die das Grundanliegen der Rheinischen Synodalerklärung teilen, geäußert worden. Begründete Kritik kam auch von jüdischen Gesprächspartnern. Dabei geht es zum einen um die Frage nach den biblischen Grundlagen für eine solche Vorstellung. Deutlich ist, dass jedenfalls die dominanten biblischen Begriffe und Bilder, die in beiden Testamenten die eschatologische Einbeziehung der nichtisraelitischen Völkerwelt in die heilvolle Gottesnähe Israels ausdrücken, nicht am Bundesbegriff orientiert sind. Zum andern ist zu fragen, ob die Formel der bleibenden Sonderrolle Israels gerecht zu werden vermag und insbesondere, ob sie das Nebeneinander von Judentum und christlicher Kirche - zunächst einer Kirche aus Juden und Heiden, dann aber auch einer rein heidenchristlich geprägten Kirche - angemessen zum Ausdruck zu bringen vermag.
Die nachfolgenden Abschnitte untersuchen, ob die Bundesaussagen in beiden Teilen der christlichen Bibel eine ausreichende Grundlage für eine Altes und Neues Testament übergreifende Theologie des Bundes ergeben. Daran schließt sich die Frage an, ob sich die biblische Bundesvorstellung systematisch-theologisch in der Weise weiter entwickeln lässt, dass sie eine angemessene Verhältnisbestimmung von Christen und Juden in der Gegenwart erlaubt.
2.2 Gottes Bundsetzungen mit Israel als Erweise seiner erwählenden Güte und Treue
Vorbemerkung zur Terminologie
Mit dem Begriff "Bund" werden im Folgenden die biblischen Begriffe berit (hebr.) bzw. diatheke (griech.) wiedergegeben. Zugleich soll versucht werden, dem sachlich vom deutschen Begriff "Bund" abweichenden Bedeutungsradius dieser beiden Begriffe, soweit möglich und erforderlich, durch entsprechende Umschreibungen gerecht zu werden. Anders als der deutsche Begriff "Bund", der eine vertragliche Vereinbarung zwischen gleichgestellten Partnern (lat. foedus) bezeichnet, steht der hebr. Begriff berit als theologischer Terminus für die autoritative Setzung eines Gemeinschaftsverhältnisses durch einen Mächtigen (d.h. durch Gott), das eine Selbstverpflichtung Gottes und/oder die Inpflichtnahme des Bundespartners einschließt. Der griechische Begriff diatheke nimmt im Neuen Testament weithin diesen alttestamentlichen Bedeutungsgehalt auf, wobei allerdings an einigen Stellen (z.B. in Gal 3f und 2.Kor 3) die Bedeutung diatheke = "Testament", "maßgebliche letztwillige Verfügung" mitschwingt
Die Bundesaussagen des Alten Testaments sind vielfältig und vielschichtig. Sie begegnen in unterschiedlichen Bezugsfeldern und gewinnen ihre jeweilige inhaltliche Füllung aus diesen. An zahlreichen Stellen wird der Bund als einseitiges Handeln Gottes dargestellt, der dem Volk seine Treue und beständige Hilfe zusagt. Anderswo trägt er eher Züge eines Vertragsverhältnisses, in dem das Volk als Gottes Partner in Pflicht genommen wird, wobei die Tora verpflichtende Bundesurkunde ist (z.B. 2.Mose 34, 10f). Nicht selten erscheint der Bund als die göttliche Anordnung und Gewährung des Kults. Trotzdem wird man in den alttestamentlichen Bundesaussagen eine gemeinsame Linie erkennen können: Es geht durchweg um den Erweis der erwählenden Güte und Treue Gottes, die Leben ermöglicht und das Volk in der Gemeinschaft mit seinem Gott hält. Dabei ist, bei allen Verstehens- und Übersetzungsproblemen, die das hebräische Wort berit aufgibt, eindeutig, dass es um eine Selbstfestlegung Gottes geht, die in ihrer bindenden Wirkung eine eidliche Zusage noch übertrifft.
Das Alte Testament berichtet von einer ganzen Reihe verschiedener Bundsetzungen Gottes. Von einer einseitigen Festlegung auf den Mose-Bund vom Sinai kann keine Rede sein. So nennt etwa das Väterlob des Sirachbuches (Sir 44-50) nicht weniger als sieben verschiedene Bundsetzungen: Die Reihe beginnt mit dem Noahbund: "Ein ewiger Bund wurde mit ihm geschlossen, nie wieder sollte alles Leben vernichtet werden" (Sir 44,18). Es folgt der Bund mit Abraham, der als Beschneidungsbund gekennzeichnet ist (Sir 44,20). Daran schließen sich in langer Reihe an: Isaak, auf den (samt seinen Nachkommen) der Abrahamsbund übertragen wurde, Aaron, der erste Empfänger des Priesteramtes, Pinhas, der Stammvater aller Priester, Josua, dem Gott das Verheißungsland öffnete, und schließlich David, dem er die "Erbnachfolge eines Herrschers von Gottes Gnaden verlieh" (Sir 45,25). Daneben gibt es in anderen frühjüdischen Texten auch andere inhaltlich abweichende Aufzählungen.
Weder auf eine genaue geschichtliche Bestimmbarkeit einzelner Bundsetzungen noch auf deren Zahl kommt es offensichtlich an. Wichtig ist vielmehr die Glaubenserfahrung, die sich in der erzählenden Erinnerung an Gottes Bundsetzungen niederschlägt: Die Frühgeschichte Israels gilt an allen ihren entscheidenden Wendepunkten als durch Gottes bundsetzendes Handeln bewirkt und begleitet. Israels Geschichte ist Bundesgeschichte, insofern sie davon handelt, dass Gott den Weg seines Volkes durch beständige Erweise seiner Treue und Güte begleitet.
In Situationen der Gefährdung und Entscheidung wendet Gott sich seinem Volk Israel in seiner Gesamtheit, aber auch repräsentativen Gruppen innerhalb dieses Volkes helfend und Orientierung gebend zu. Zu solcher Zuwendung gehört freilich auch, dass er die Bundespartner auf ein bundesgemäßes Verhalten - und das heißt: auf die Einhaltung seines in der Tora geoffenbarten Willens - verpflichtet (z.B. 5.Mose 4,13.23;29,8.11.13.20).
Jede einzelne Bundsetzung kann in gewisser Hinsicht als Erneuerung und Bestätigung der vorhergegangenen gelten. Anlaß dafür ist allein der Wechsel geschichtlicher Situationen und Konstellationen. Dass Gott einen früheren Bund außer Kraft gesetzt und gekündigt hätte, kommt an keiner Stelle in den Blick. Zwar kann das Volk durch Nichteinhaltung der von ihm übernommenen Bundesverpflichtung, durch Ungehorsam gegenüber der Weisung Gottes den Bund brechen. Doch ist damit der Bund nicht hinfällig geworden. Er wird allein durch Gottes Güte und Treue, nicht durch das Verhalten seiner menschlichen Empfänger konstituiert. Es besteht allerdings die Gefahr, dass er durch menschliches Fehlverhalten beschädigt und undeutlich gemacht wird. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es der Erneuerung des bundsetzenden Handelns Gottes.
In diesem Rahmen ist auch der Sinaibund zu sehen. Er ersetzt nicht die vorhergegangenen Bundsetzungen an die Väter, sondern führt sie weiter bzw. ist - speziell in der Systematik der priesterschriftlichen Darstellung - deren Realisierung. Er hat allerdings insofern eine Sonderstellung, als er sich auf das "Buch des Bundes" (2.Mose 24,7) bezieht; das Buch des Bundes steht für die schriftliche Tora, es stellt den Dekalog auf den "Tafeln des Bundes" (5.Mose 9,9.11. u.ö.; vgl. 2.Mose 34,28) als Bundesurkunde heraus und bringt die innere Struktur der Gottesbeziehung Israels zum Ausdruck, die durch das Ineinander von Verheißungs- und Verpflichtungsdimension gekennzeichnet ist.
Sofort tritt denn auch das Moment der Gefährdung des Bundes besonders hervor. In der Erzählung vom Abfall zum Goldenen Kalb in 2.Mose 32, der anschließenden intensiven und langen Fürbitte des Mose und der Vergebung, die Gott schließlich gewährt, der sich als "barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue" (2.Mose 34,6) erweist, wird dieses Problem grundlegend behandelt. Die aus der Barmherzigkeit Gottes entspringende Erneuerung des Bundes (2.Mose 34,10) macht deutlich, dass Israels Bund faktisch immer schon ein "neuer" ist, der menschliche Schuld und göttliche Vergebung mit umschließt. Historisch lässt sich am Alten Testament zeigen, dass der Begriff "Bund" in einer Zeit der Krise entstand. Er wurde für Israel jeweils wichtig, wenn das Volk in seiner Existenz bedroht war: zum Beispiel in der Zeit nach dem Ende des Nordreiches (nach 721), vor allem aber in der Exilszeit (nach 587).
Das gilt bereits für den Noahbund (1.Mose 9,1-17). Ihm kommt insofern eine Sonderstellung zu, als er nicht speziell mit Israel geschlossen ist, sondern - als Reaktion auf die schuldhaften Gewaltverhältnisse, die zur Flut führten - zwischen Gott und "jeglichem Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch". Er besteht in der Zusage, dass nach der Flut trotz menschlicher Schuld die Erde für alle Zeit ein fester und verlässlicher Lebensraum für sie alle sein solle. Dass damit ein gesamtmenschheitlicher, ja ein die Tierwelt umfassender Bezug eingeschlossen ist, steht außer Frage. Trotzdem fällt der Noahbund nicht aus dem Rahmen der sonstigen auf Israel bezogenen Bundsetzungen heraus. Seine Bedeutung besteht vielmehr darin, dass er die fundamentale Voraussetzung der weiteren Bünde schafft, insofern er den Lebensbereich im weitesten Sinne absteckt, innerhalb dessen Israels Erwählung ihren Raum haben soll. Wenn er nicht nur Israel, sondern auch den Weltvölkern zu Gute kommt, so liegt das letztlich auf der gleichen Linie wie alle jene biblischen Aussagen, die von einer heilvollen Auswirkung des Gottesbundes mit Israel auf die Völkerwelt handeln.
Trotz der Untreue Israels kann und will Gott nicht von seinen Zusagen lassen. Ohne seinen Bund mit Israel wäre er ein anderer Gott als der, von dem die Bibel spricht. Auf diese Pluralität der Bundsetzungen Gottes bezieht sich auch Paulus, wenn er in Röm 9,4 von den Israel gegebenen "Bünden" spricht. Dieser Sachverhalt ist übrigens in der revidierten Lutherbibel 1984 neuerdings durch die Korrektur des Singulars "Bund" in den Plural "Bundesschlüsse" berücksichtigt.
2.3 Was ist neu am "neuen Bund" von Jer 31?
Jer 31,31-34 ist die wohl bekannteste, in ihrer Wirkungsgeschichte folgenreichste Bundessausage des Alten Testaments. Jeremia kündigt hier im Auftrag Gottes einen "neuen Bund" an, der "mit dem Hause Israel und mit dem Haus Juda" geschlossen werden soll. Dieser Bund werde anders sein als jener Bund, den Gott mit ihren Vätern beim Auszug aus Ägypten geschlossen hat. Denn jenen Bund haben sie gebrochen, "ob ich gleich ihr Herr war". Auch ein Kennzeichen des "neuen Bundes" wird benannt: Gott selbst wird seine Tora in die Israeliten hineinlegen und sie auf ihr Herz schreiben: "Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: ‚Erkenne den Herrn', sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, klein und groß, spricht der Herr."
Herkömmliche christliche Auslegung dieser Stelle ging von drei Voraussetzungen aus: (1.) Der Bund Gottes mit dem Volk Israel werde vom Profeten als nicht mehr in Kraft befindlich dargestellt. Israel sei somit bereits in der Zeit des Exils ohne Bund gewesen. (2.) Der hier angesagte "neue Bund" meine einen in ferner Zukunft liegenden Bund, der in keiner Kontinuität mit dem alten Bund Israels mehr stehe; und (3.) die so vorausgesetzte Diskontinuität sei in der Materie des neuen Bundes begründet, denn dieser beziehe sich nicht mehr auf die Tora und ihre Erfüllung, sondern werde allein vom Geist Gottes gewirkt werden. Alle drei Voraussetzungen bedürfen jedoch dringend der Korrektur.
Der Profet spricht zwar von einem Bruch des Bundes durch die "Väter", wobei der den Wortbruch der Jerusalemer 589/88 mit dem Ungehorsam der Exodus- und Wüstengeneration zusammenschaut. Jedoch ist der Bund durch diesen Bundesbruch keineswegs hinfällig geworden; von seiner Aufkündigung durch Gott ist nicht die Rede. Die Wendung "ob ich gleich ihr Herr war" (Jer 31,32) benennt vielmehr das, was über den Bundesbruch hinweg reicht und die Kontinuität gewährt: Gottes Eigentumsrecht, das sich in der Sündenvergebung (Jer 31,34) wie im bleibenden Anspruch der Tora manifestiert. Um dieser Gefährdung zu begegnen, kündigt Gott nunmehr durch den Profeten einen neuen Bund an. Dessen Neuheit soll nicht etwa darin bestehen, dass der vorausgegangene Bund für aufgekündigt erklärt, die Tora vom Sinai überwunden und durch ein anderes Gesetz ersetzt wird. Noch weniger geht es um einen neuen menschlichen Partner. "Neu" wird der vom Profeten angesagte Bund vielmehr darin sein, dass er den bisherigen Bund eschatologisch überbietet: Er wird der abschließende, vollkommene Bund sein, Gottes letztes und unüberbietbares Wort in dieser Sache. Anders als die bisherigen Bundsetzungen wird er gegen die Möglichkeit eines Bundesbruches seitens Israels abgesichert sein. Gott selbst wird ihnen die Fähigkeit schenken, die Tora zu halten, ohne jemals mehr von ihr abzuweichen.
Auch dieser "neue Bund" von Jer 31,31 bezieht sich also auf die Tora. Sie wird dieselbe sein, die schon dem Bund vom Sinai zu Grunde gelegen hatte. Aber nun soll die bisherige Distanz zwischen Israel und der Tora überwunden werden. Der den Bund gefährdende Ungehorsam soll ein Ende haben, weil Israel mit dem in der Tora bekundeten heiligen Gotteswillen endgültig geeint sein wird, indem Gott ihm die Tora unmittelbar ins Herz legt. Es wird dann keiner Mahnungen und Weisungen von außen her mehr bedürfen. Die Grundstruktur der bisherigen Bundsetzungen wird hier also keineswegs aufgehoben, sie bleibt vielmehr erhalten, ja sie tritt noch deutlicher als bisher in Erscheinung. Der neue Bund ist der bisherige Bund in endzeitlich gesteigerter Form. So spricht Jeremia denn auch nirgends von einem "alten" Bund, sondern - wenn er das bisherige bundbegründende Gotteshandeln meint - von einem "ewigen, unvergesslichen Bund" (Jer 50,5). Die Auslegungen von Jer 31,31ff im nachbiblischen Judentum haben diese Stelle auch durchweg so verstanden.
Obwohl die frühen Rabbinen das Verhältnis zwischen Israel und Gott relativ selten auf den umfassenden Begriff des Bundes brachten, haben sie dennoch die jeremianische Verheißung eines neuen Bundes aufgegriffen und theologisch fruchtbar gemacht. Wo sie dies tun, betonen sie die Kontinuität zwischen Altem und Neuem. Der neue Bund ist Erneuerung und Bekräftigung des alten und somit ein erneuerter Bund. Dieser steht keineswegs im Gegensatz zur Sinai-Tora, sondern ist geradezu von Anfang an in ihr angelegt, der neue Bund ist bereits im alten Bund enthalten; der qualitative Unterschied - hier der gebrochene, dort der, der nicht mehr gebrochen wird - geht Hand in Hand mit einer im Wesen des alten Bundes selbst begründeten Kontinuität. Jer 31,33 wird dann in der talmudisch-midraschischen Auslegungstradition häufiger zitiert als die beiden vorangehenden Verse, für gewöhnlich aber von dem Motiv des neuen Bundes abgekoppelt. Was vom biblischen Kontext dennoch bleibt, ist die eschatologische Signatur der Verheißung: Die ins Herz geschriebene Tora wird zu einer Tora, die man in der kommenden Welt, nachdem man sie gelernt hat, nicht wieder vergisst.
Auch der Befund des Schrifttums von Qumran bleibt letztlich auf dieser Linie. Die qumranische Gemeinschaft weiß sich zwar durch einen von Gott gestifteten Bund gegründet. Dieser jedoch steht keineswegs im Gegensatz zum Sinaibund, und ob er als neuer Bund im Sinne von Jer 31,31ff verstanden wurde, ist überdies höchst fraglich. Die Wendung vom neuen Bunde im Lande Damaskus in der Damaskusschrift darf jedenfalls nicht für eine solche Deutung in Anspruch genommen werden. Denn die Gemeinde des neuen Bundes im Lande Damaskus, auf die sie verweist, ist keine gegenwärtige Größe, sondern die Vorgängergemeinde der qumranischen Gemeinschaft, die durch radikalen Gesetzesgehorsam (wahrscheinlich in der seleukidischen Verfolgung) ihre Treue zu den Bundsetzungen Gottes erwiesen und damit den bereits bestehenden Bund neu aktualisiert hat.
2.4 Der Bund - unverlierbares Identitätszeichen Israels
Der Bund steht im Alten Testament in einem unaufhebbaren Zusammenhang mit der Identität Israels. Darin besteht die Besonderheit dieses Volkes unter allen Völkern, dass es durch Gottes heilvolle Zusage in ein unmittelbares Gemeinschaftsverhältnis mit ihm gesetzt und zum Gehorsam gegen seinen geoffenbarten Willen berufen ist. Anders gesagt: Darin, dass ihm der Bund geschenkt ist, unterscheidet sich Israel von den "Völkern". Zugleich wird damit der Bund mit Israel zum Identitätszeichen Gottes selber.
Zwar gibt es bekanntlich vielfältige und gewichtige Verheißungen, die von einer heilvollen Auswirkung der Israelbeziehung Gottes auf die weltweite Völkerwelt reden - von der Teilnahme am Abrahamssegen (1.Mose 12,3) über die Völkerwallfahrt zum Zion (Jes 2,2ff par Mi 4,1ff; Jes 60; 66,23) bis zur universalen Anbetung Gottes (Jes 45,18ff; Zeph 2,11). Aber nur in wenigen von ihnen spielt der Bundesbegriff eine Rolle. Nach Jes 55,3ff wird Israel durch den ihm geschenkten David-Bund instand gesetzt, Gott unter den Völkern zu verherrlichen, mit der Folge, dass auch diese sich seinem Gott zuwenden. Und vom "Gottesknecht", dessen Identität mit und Beziehung zu Israel ein Geheimnis bleibt, wird gesagt, dass er zum "Bund des Volkes" und als solcher zum "Licht der Völker" werden soll (Jes 42,6). In dieser Aussage kann "Volk" vom Kontext her Israel oder die Menschheit bezeichnen. Nach einigen Texten spielt also der Bund Gottes mit Israel indirekt für die Völkerwelt eine Rolle; er "verbindet dieses Volk mit der Menschheit, so dass der Bund mit ihm zum Bund mit den Völkern allen wird" (Leo Baeck).
Jedoch würde durch eine ausdrückliche Einbeziehung der Weltvölker in den Bund Israels die für Israels Selbstverständnis grundlegende Unterscheidung zwischen Israel als dem einen Gottesvolk und den Völkern in Frage gestellt bzw. aufgehoben. Man kann dieser Konsequenz auch nicht durch eine Unterscheidung zwischen Israel als Gottesvolk einerseits und dem Bund Gottes mit diesem seinem Volk andererseits ausweichen, um daraus die weitergehende Folgerung abzuleiten, die Kirche sei zwar nicht in das Gottesvolk Israel, wohl aber in die Bundesbeziehung zwischen Gott und Israel hineingenommen. Damit nämlich würde die identitätsstiftende Bedeutung des Bundes für Israel letztlich verkannt.
In diesem Zusammenhang bleibt zudem durchgängig zu bedenken, dass sich im Anschluss an 1.Mose 17 die individuelle Aneignung des Bundes zwischen Gott und Israel durch die männlichen Mitglieder mit der Beschneidung vollzieht. Die berit milla (Beschneidungsbund) ist im Judentum bis heute der reale "Sitz im Leben" des Bundes. Eine unmittelbare Einbeziehung der heidenchristlichen Kirche in diesen Bund ist kaum denkbar. Vielmehr ist an den Gedanken anzuknüpfen, dass es gerade der Bund mit Israel ist, durch den Gott auch die Völker für sich gewinnen will.
2.5 Jesus Christus - Ziel und Bekräftigung der Bundsetzungen Gottes
Auch die Schriften des Neuen Testaments behandeln das Thema "Bund". Allerdings tun sie das in unterschiedlichen Zusammenhängen und in unterschiedlicher Dichte. Es fehlen alle Anzeichen dafür, dass es eine einheitliche frühchristliche Theologie des Bundes gegeben hätte, in deren Rahmen dem Begriff "Bund" eine zentrale Bedeutung für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Gemeinschaft der Jesusgläubigen und dem Volk Israel zugefallen wäre. Die einzige Ausnahme in dieser Hinsicht, auf die noch gesondert einzugehen sein wird, bildet der Hebräerbrief mit seiner ausgeprägten Bundestheologie. Im Blick auf die große Mehrzahl der neutestamentlichen Bundesaussagen läßt sich jedoch übergreifend feststellen:
• auch sie setzen mehrere frühere Bundsetzungen Gottes mit seinem Volk voraus;
• sie halten deren bleibende Gültigkeit fest, und
• sie verstehen das Heilsgeschehen in Christus in
positiver Kontinuität zu diesen Bundsetzungen. Das Neue, einschließlich der neutestamentlichen Rede vom "neuen Bund", wird nur von dieser Grundlage aus sachgemäß zu verstehen sein.
Alle diese drei Momente der Kontinuität, besonders deutlich das zweite, lassen sich in den beiden Lobliedern in Lk 1 aufweisen, die vermutlich sehr alte judenchristliche Überlieferungen aufnehmen. Die Bundesaussage im Lobgesang des Zacharias, dem Benediktus (Lk 1,72f) kann - neben der Abendmahlsüberlieferung - als die älteste uns bekannte christliche Stellungnahme zum Thema "Bund" gelten. Die Geburt des starken Retters aus dem Hause Davids wird hier als Erfüllung des Bundes Gottes mit Abraham gedeutet: "Er hat das Erbarmen mit den Vätern an uns vollendet und an seinen heiligen Bund gedacht, an den Eid, den er unserm Vater Abraham geschworen hat" (Lk 1,72). Die eidliche Zusage Gottes an Abraham gilt als Grund dafür, "dass wir" - die Gemeinschaft der Jesusgläubigen in Israel - "furchtlos aus der Hand der Feinde gerettet, ihm dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor ihm all unsere Tage" (Lk 1,74b-75; vgl. Lk 1,55).
Im Blick ist dabei der Beschneidungsbund Gottes mit Abraham (1.Mose 17,6). Nur dessen Bundeszusage enthält die Ankündigung eines aus der Zusage Gottes hervorgehenden Königtums. Diese ist, wie wir u.a. aus PsSal 18,3-5 wissen, zum locus classicus für die Verbindung Abrahams mit der Erwartung eines messianischen Königs in Israel geworden. So wird die Erscheinung des Davidssohnes Jesus als abschließende Erfüllung des Abrahamsbundes in Israel gedeutet.
Liest man diese frühen judenchristlichen Zeugnisse für sich, so ist in ihnen die Stellung der Heidenchristen zum Bund noch kein Thema. Nun begegnen uns diese Lieder aber als zentrale Bestandteile der lukanischen Vorgeschichte (Lk 1-2). Sie sind also von Lukas mit Bedacht an den Eingang seines Doppelwerkes aus Evangelium und Apostelgeschichte gerückt worden, dessen übergreifendes Thema der Gang des Evangeliums von Jerusalem durch das römische Reich bis in dessen Hauptstadt - und damit die Entstehung der christlichen Kirche - ist. In dieser gesamten Darstellung spielt der Bundesbegriff nur in der Abendmahlsformel (Lk 22,20) eine Rolle. Lukas verwendet ihn also für die Deutung des Neuen, das in und mit der Kirche entsteht, gerade nicht, sondern beläßt ihn durch die zitierten Texte als Proprium Israels und seiner Verheißungen.
Auch Paulus hält an der bleibenden Gültigkeit der Bundsetzungen Israels fest. Das geht insbesondere aus dem Anfang des großen Israel-Traktats des Apostels (Röm 9-11) deutlich hervor. Hier nämlich spricht er - wie schon erwähnt - ausdrücklich im Plural von den "Bundsetzungen" als bleibendem Besitz Israels, ohne freilich zu erläutern, an welche Bünde er denkt (Röm 9,4).
Im weiteren Fortgang von Röm 9 bis 11 findet sich kein Anzeichen dafür, dass Paulus aufgrund der Distanz der überwiegenden Mehrheit der Juden gegenüber dem Christusglauben im Blick auf diese die früheren Bundsetzungen als aufgehoben ansähe. Im Gegenteil: Am Ziel- und Höhepunkt der Ausführungen über Geschick und Weg Israels (Röm 11,25-32) entfaltet er ein großes Hoffnungsbild der für die Zukunft für ganz Israel erwarteten eschatologischen Rettung. Dabei greift er ausdrücklich auf die alttestamentliche Tradition von Bund und Sündenvergebung zurück (Jer 31; 2.Mose 34,9f).
In diesem großen Hoffnungsbild werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Israels als eine durch das alles übergreifende Handeln Gottes konstituierte Einheit gesehen. Zwar hat Gott die Mehrheit des jüdischen Volkes in der Gegenwart "in den Ungehorsam eingeschlossen" (Röm 11,31), aber dies geschah, um Zeit zu gewähren für die Gewinnung der Heiden für das Evangelium. Am Ende wird jedoch "der Retter aus Zion kommen" (Röm 11,26b); der endzeitlich in Erscheinung tretende Christus wird ganz Israel um sich sammeln und endgültig in die Gegenwart Gottes hineinnehmen. Indem dies geschieht, wird die Bundeszusage des Jeremia endgültig erfüllt. Diese Verheißung greift aus der Vergangenheit - gleichsam über die gegenwärtige Periode des Ungehorsams Israels hinweg - direkt hinüber in die Zukunft. Gottes Güte und Treue überwölbt damit gleichsam das gegenwärtige Geschick Israels, und damit zugleich auch die Phase des Hinzukommens der Heiden. Dieser Bund ist demnach insofern der "alte", als er Gottes in der Vergangenheit begonnenes Erwählungshandeln an Israel festmacht. Er ist kein anderer Bund als der, mit dem Gott Israels Weg von Anfang an begleitet hat. Zugleich aber ist er der "neue", insofern er Israels Geschichte der eschatologischen Erfüllung entgegenführt.
Ein Gegensatz zwischen "altem" und "neuem" Bund kommt hier also nicht in den Blick. Paulus versagt sich aber auch insofern jedem theologischen Systematisierungsversuch, als er die Frage unbeantwortet läßt, in welchem Verhältnis zum erneuerten Bund Israels die zur Heilsgemeinde hinzukommenden Heiden stehen. Er begnügt sich mit dem Hinweis, dass Gott durch den Weiterbestand des Bundes Israels trotz der mehrheitlichen Ablehnung Jesu als des Messias die Voraussetzung für das jetzt ergehende Angebot des Glaubens an die Heiden geschaffen hat (Röm 11,25). Der Bund Gottes mit Israel ermöglicht so noch im Negativen den Zugang der Völker zu Gott. Er hat also eine heilvolle Wirkung auf die Heiden. Mit diesem Gedanken knüpft der Apostel an alttestamentliche Aussagen an, die dem Bund Gottes mit Israel heilvolle Folgen für die Weltvölker zuschreiben. Aber er überschreitet die von diesen gezogene Grenze nicht. Die Möglichkeit einer unmittelbaren Hineinnahme der glaubenden Heiden in den bleibend von Gott durchgehaltenen Bund mit Israel deutet er mit keinem Wort an. In den theologisch so gewichtigen Darlegungen über das Evangelium im übrigen Römerbrief kommt der Bundesbegriff an keiner Stelle vor. So drängt sich der Eindruck auf, dass eine solche Bundessystematik nicht im theologischen Blickfeld des Apostels gelegen hat.
Auch die Bundesaussagen der übrigen Paulusbriefe stellen die Gültigkeit der göttlichen Bundsetzungen für Israel nicht in Frage. Ein markanter Beleg dafür ist Gal 3,6-29. Paulus hebt hier den Gottesbund mit Abraham als wichtigen positiven Bezugspunkt für die Deutung des Christusgeschehens hervor. Dabei zieht er nicht den Beschneidungsbund von 1.Mose 17 heran, sondern den ihm vorausliegenden ersten Bund Gottes mit Abraham, von dem 1.Mose 15 berichtet. Die Verheißung von Nachkommenschaft, Abrahams Glaube und der daraufhin geschlossene Bund machen diesen für Paulus zum maßgeblichen Abrahamsbund, der durch den späteren Sinaibund nicht überholt wird. Auch nicht durch den Beschneidungsbund von 1.Mose 17, der für das normative Judentum den eigentlichen Abrahamsbund darstellt (vgl. Sir 44,20). Weil in 1.Mose 15 Abrahams Glaube so etwas wie ein Bundeszeichen ist, darum gilt die Bundesverheißung den Nachkommen Abrahams, die, gleich ihm, ihr Gottesverhältnis auf den Glauben stellen. Unter Rückgriff auf 1.Mose 12,3, den Segen, der von Abraham ausgehend, allen Völkern gilt, wird die Zusage Gottes auch auf die Heiden bezogen, die durch den Glauben an Christus Abrahams Nachkommen sind (Gal 3,29). Ohne dass solches explizit gesagt würde, kann man der Sache nach hier in der Tat von ihrer Teilhabe an diesem Abrahamsbund - nicht jedoch an dem von 1.Mose 17 - sprechen.
Eine ähnlich positive Wertung des Abrahamsbundes findet sich auch in dem schwierigen, Typologie und Allegorese vermengenden Abschnitt Gal 4,21-31. Wenn in ihm zwei Bundsetzungen einander in polemischer Antithese gegenübergestellt werden, so ist das schwerlich im Sinne eines Gegeneinander von "altem" Sinaibund und "neuem" Christusbund zu verstehen. Vielmehr dürften die beiden zueinander kontrastierten Bünde der auf Glauben gegründete Abrahamsbund von 1.Mose 15 und der auf die Tora bezogene Sinaibund sein. Beide werden allerdings dadurch, dass Sara und Hagar, die beiden Frauen Abrahams, als ihre symbolischen Repräsentantinnen dargestellt werden, indirekt mit der Geschichte Abrahams zusammengebracht. In dem einen Bund, der im Zeichen der Freiheit steht und dessen Repräsentantin darum Sara, die "Freie" ist, erfüllt sich für die Heiden die Abraham verheissene Freiheit des Glaubens. Und zwar ist es Christus, der den Heiden auf Glauben hin den Zugang zur Verheißung des Bundes Abrahams und damit zur Freiheit der Gotteskindschaft eröffnet hat (Gal 4,1-7). Aufgrund dieser Verheißung gelten die an Christus glaubenden Heiden als "Kinder der Freien", das heißt, als Nachkommen Saras. Als Freie stehen sie gleich privilegiert neben dem Verheissungssohn Isaak (Gal 4,30).
Der andere Bund, von dem Paulus hier spricht, ist der sich auf die Tora gründende Sinaibund (Gal 4,24). Wenn Paulus ihn durch die Sklavin Hagar repräsentiert sieht, so spielt er damit im Zuge der situationsbedingten Polemik des Galaterbriefes auf jene Unfreiheit an, die sich für die Heidenchristen in Galatien als Folge einer Übernahme der Tora ergeben würde. Letztlich handelt es sich also um zwei Aspekte jenes Bundes, den Gott mit Israel - repräsentiert durch dessen Stammvater Abraham - geschlossen hat.
Die schwierige Stelle 2.Kor 3,4-18 war wirkungsgeschichtlich für die christliche Rede vom Bund von großer Bedeutung. Aufgrund der sprachlichen Doppeldeutigkeit des griechischen Wortes diatheke, das sowohl mit "Bund" wie auch mit "Testament" übersetzt werden kann, gab sie nämlich indirekt den Anstoß für die Bezeichnung der beiden Teile der christlichen Bibel als "Altes" bzw. "Neues Testament" und wurde darüber hinaus weithin zum Anlaß für die Vorstellung eines Gegensatzes der beiden Bibelteile zueinander.
Paulus stellt hier in einer Auslegung der Mosegeschichte (2.Mose 34) den ihm als Apostel anvertrauten "Dienst des neuen Bundes" dem Dienst des Mose gegenüber, wobei er nicht diesen selbst, sondern dessen Bezeugung in der Schrift, also die im jüdischen Gottesdienst verlesene Tora, als "alten Bund" kennzeichnet (2.Kor 3,14). Vieles spricht dafür, dass er damit den Gesetzesbund vom Sinai in besonderer Weise in den Blick nimmt. Der Gegensatz liegt nicht im Wesen beider Bundsetzungen. Paulus denkt vielmehr allein an deren unterschiedliche Auswirkungen. Beide sind in der hier herangezogenen alttestamentlichen Tradition bereits angelegt. Der Bund des Mose, dessen Urkunde der "Buchstabe", d.h. die Tora ist (2.Kor 3,6), wirkt den Tod. Dies aber nicht etwa deshalb, weil er von seinem Ursprung her die Menschen auf den verkehrten, tödlichen Weg des Gesetzes führen würde, sondern allein deshalb, weil diejenigen, die faktisch die Tora übertreten, als Brecher des Bundes dem Gericht Gottes verfallen sind, wie es nach der Darstelung von 2.Mose 32-34 den Verehrern des goldenen Kalbes drohte. Der durch den Apostel Jesu Christi vertretene, in seiner Heilsverkündigung wirksame Bund hingegen wirkt Leben und Freiheit, wie es der aus Gottes Vergebung entspringenden Erneuerung des Bundes in 2.Mose 34 entspricht. In ihm nämlich ist der endzeitliche Gottesgeist wirksam, der lebendig macht und so den Menschen von Grund auf so verändert, dass sie die Freiheit der Kinder Gottes in neuem, vollem Gehorsam zu praktizieren vermögen (2.Kor 3,17f).
Ob Paulus zu diesem Midrasch direkt auf Jer 31,31ff zurückgreift, ist zwar unter den Auslegern nicht ganz unumstritten, doch sprechen gewichtige Anzeichen dafür - so die Rede vom "neuen Bund" und die Entgegensetzung der steinernen Tafeln und des lebenschaffenden Geistes (2.Kor 3,6). Auf alle Fälle aber trägt der "neue" Bund eschatologische Züge. Die mit ihm Verbundenen, das heißt, die Gemeinde der an Jesus Glaubenden, bekommen Anteil an der von der Gegenwart des endzeitlichen Gottesgeistes vermittelten unvergänglichen Herrlichkeit, die jene des Mose noch übertrifft (2.Kor 3,18). Auch hier kommt es zu keiner unmittelbaren Reflexion auf die Kirche als Volk des Bundes. Die Passage hat eschatologische und pneumatologische Konnotationen; sie bleibt jedoch ohne direkten Ertrag für die Ekklesiologie und speziell für die Frage nach dem Modus der Zuordnung der Gemeinschaft der Christusgläubigen zum Bundeshandeln Gottes.
Auch der deuteropaulinische Epheserbrief bleibt auf der von Paulus vorgezeichneten Grundlinie, indem er zwar ein positives, sich in heilsgeschichtlicher Kontinuität auf die Kirche hin öffnendes Bundesverständnis vertritt, aber auf eine unmittelbare Wesensbestimmung der Kirche vom Bundesgedanken her verzichtet. Für ihn ist die Kirche der Ertrag des Versöhnungswerkes Jesu Christi, durch das Juden und Heiden, die ehemals in Feindschaft Getrennten, zur Einheit zusammengeführt worden sind (Eph 2,11-18). Dabei beschreibt er die frühere Situation der Heiden, indem er auf ihre Defizite verweist: Sie waren "von Christus getrennt, der Gemeinde Israels fremd und von den Bundsetzungen der Verheißung ausgeschlossen" (Eph 2,12). Aus der Perspektive des Rückblicks umschreiben die Wendungen "Gemeinde Israels" und "Bundsetzungen der Verheißung" Israel als Bereich des Heils. Weil Israel diese Bundsetzungen hatte, war es ein Gemeinwesen, das durch Gottes Zusage des Mit-Seins mit seinem Volk geprägt und gestaltet war. Die Heiden hingegen hatten weder an diesen Bundsetzungen, noch an diesem Gemeinwesen Anteil, zugleich aber waren sie "ohne Christus", das heißt, sie waren vom Christusgeschehen ausgeschlossen.
Mit dieser Aussage wird das Christusgeschehen in eine Linie mit dem bundstiftenden Handeln Gottes an Israel gerückt. Aber die auf Grund des Gegensatzes von "einst" und "jetzt" naheliegende Erklärung der neuen, heilvollen Situation der ehemaligen Heiden mit den Begriffen "Gemeinwesen" und "Bund" unterbleibt. Gesagt wird lediglich, dass die ehedem Verfeindeten nunmehr "in einem Leib" - in der Kirche - "mit Gott durch das Kreuz versöhnt worden" sind (Eph 2,15), nicht jedoch, dass sie den Bundsetzungen des Gemeinwesens Israel integriert worden seien. Bundestheologie und Ekklesiologie werden zwar nahe aneinander gerückt, zu einer lückenlosen Integration der Bundestheologie in die Ekklesiologie kommt es jedoch nicht.
2.6 Das Verhältnis von "altem" und "neuem" Bund nach dem Hebräerbrief
Völlig anders ist die Bundestheologie des - ebenfalls der dritten christlichen Generation entstammenden - Hebräerbriefs ausgerichtet. Sie nimmt inmitten der übrigen Bundesaussagen des Neuen Testaments eine eigentümliche Sonderstellung ein. Der Umstand, dass man diesen Brief in der Alten Kirche fälschlich den Briefen des Paulus zugerechnet hatte, hatte erhebliche wirkungsgeschichtliche Folgen. Seine Bundesaussagen, vor allem die schroffe Entgegensetzung von "altem" (bzw. "ersten") und "neuem" Bund, wurden als zentrale Deutungsschlüssel für die Gesamtheit der paulinischen und neutestamentlichen Bundesaussagen herangezogen, wobei man insbesondere Hebr 8,7-13 als Beleg für das Ende des Bundes Israels und seine Ersetzung durch den "neuen" Bund in der Kirche las. Um den Bundesaussagen des Hebräerbriefes gerecht zu werden, muss man jedoch ihr Eigenprofil und ihre spezifischen Voraussetzungen erkennen.
Während in den bisher besprochenen neutestamentlichen Schriften der Begriff "Bund" kein theologischer Zentralbegriff ist, gewinnt er allein im Hebräerbrief den Rang einer theologischen Leitvorstellung. Hebr 8,1-10,18, der Abschnitt, in dem diese entfaltet wird, wird durch Zitate aus Jer 31 eröffnet (Hebr 8,7-13) und abgeschlossen (Hebr 10,16f), will also auf diesen für frühchristliches Bundesverständnis zentralen Text bezogen werden. So wird Jer 31,31-34 in Hebr 8,8b-12 vollständig und im Wortlaut zitiert, einschließlich des nachdrücklichen, weil doppelten Bezuges gerade auch des neuen Bundes auf Israel. Zugleich wird das Zitat jedoch mit einem interpretierenden Rahmen umgeben, der ausgesprochen schroff, ja negativ wirkt: "Denn wenn jener erste (Bund) untadelig wäre, würde nicht Raum für einen zweiten gesucht werden. Denn sie (d.h. die Israeliten) tadelnd, sagt er (d.h. der Profet)" (Hebr 8,7.8a); und: "Indem er (der Profet) von einem neuen (Bund) spricht, hat er den ersten für veraltet erklärt. Was aber veraltet ist und greisenhaft, das ist dem Untergang nahe. (Hebr 8,13)".
Eindeutig ist zunächst, dass der Hebräerbrief das Christusgeschehen als die in Jer 31 profetisch angekündigte neue Bundsetzung versteht. Und zwar ist die Interpretation von Jer 31 ausschließlich auf die Ankündigung von Gottes Vergebung (Jer 31, 34b) ausgerichtet und damit auf den Bereich des Kultischen konzentriert. Der Hebräerbrief deutet das Heilgeschehen in Christus durchweg in kultischen Kategorien.
Das hat Folgen für sein Verständnis des Bundes: Bisher war in Israel Gottes Vergebung an den Opferkult im Tempel gebunden. Jetzt löst das Selbstopfer Jesu Christi, des himmlischen Hohenpriesters, im himmlischen Heiligtum den bisherigen Kult Israels mit seinen Opferriten ab, indem es dessen endzeitliche Überbietung darstellt (Hebr 9,11-14). Damit wird der Kult Israels zum Inbegriff des vergangenen "alten Bundes". Dieser ist nunmehr, weil irdisch und geschichtlich bedingt, im Vergleich mit dem Kult im himmlischen Heiligtum ohne Kraft und ohne Wirkung, während der neue Bund das Irdisch-Geschichtliche transzendiert und darum ewig und übergreifend gültig ist.
Diese Interpretation des Bundes in kultischen Kategorien kommt auch in Hebr 10,16f zum Ausdruck: Weil durch Christus die Vergebung der Sünden endgültig und abschließend bewirkt ist, ist die profetische Zusage von Jer 31 erfüllt. Der bisherige Kult ist damit an sein Ende gekommen: "Wo aber die Sünden vergeben sind, da gibt es kein Sündopfer mehr".
Aus dieser unmittelbaren Gleichsetzung von Bund und Kult erklärt sich auch der Umstand, dass der Hebräerbrief nur von einem Bund Israels spricht, eben dem kultischen Bund. Die Vielfalt der Bundesaussagen des Alten Testaments wird überhaupt nicht berücksichtigt. Auch spielen zentrale Gesichtspunkte alttestamentlicher Bundestheologie - wie die Zusage der Nähe Gottes, die Verpflichtung auf die Tora und die erwählungsgeschichtliche Bedeutung des Bundes - für seine Auslegung von Jer 31 keine Rolle.
Eine nicht zu übersehende Voraussetzung dieser Sichtweise ist im spezifischen Welt- und Seinsverständnis des Hebräerbriefes gegeben. Ihm zufolge ist alles Irdische und Geschichtliche, somit auch Israels vergangene Geschichte, nur hinfälliges, vergängliches Abbild der himmlischen Wirklichkeit, und in diesem Sinne "alt". Das Eigentliche, Neue und Gültige ist das Himmlische. Weil Israels Tempel- und Opferkult irdisch war und von Menschen ausgeübt wurde, hatte er nur vorläufige und begrenzte Wirkung und bedurfte der Wiederholung. Der Kult im himmlischen Heiligtum und der von diesem bestimmte neue Bund hingegen transzendieren das Irdisch-Geschichtliche. Deshalb sind sie ewig und übergreifend gültig.
Es ist dies eine Sichtweise, die innerhalb des Neuen Testaments weitgehend isoliert dasteht. Um ihr gerecht zu werden, muss man das sie bestimmende Ziel erkennen: in seelsorgerlicher Absicht der Stärkung der angefochtenen Gemeinde zu dienen. Antijüdische Polemik hatte der Verfasser des Briefes schwerlich im Blick. Aber auf alle Fälle ist seine Sicht der Bundesproblematik auf Grund ihrer spezifischen Voraussetzungen zu einseitig, als dass sie als repräsentativ für das älteste Christentum gelten könnte.
Diese Einseitigkeit wird durch eine weitere Beobachtung bestätigt. Nirgends bringt der Hebräerbrief das Bundesmotiv in einen Zusammenhang mit dem Kirchenverständnis. Die Frage, in welchem Verhältnis Israel als Volk des Bundes zur Kirche steht, wird in ihm nicht behandelt, wie denn überhaupt das Problem des Miteinanders von Juden und Heiden in der Kirche für ihn keine erkennbare Rolle spielt. Im Gegenteil: Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit wird die christliche Gemeinde, an die sich der Brief wendet, auf ihre ungebrochene Kontinuität mit Israels Heilsgeschichte angesprochen. Das gilt für die Nennung Israels und Judas in Jer 31 ebenso wie für den Bezug des gegenwärtigen Heilshandelns Gottes auf die Abrahamsnachfahren in Hebr 2,16 oder das Haus Gottes, über das Mose gesetzt war, in Hebr 3,1ff.
Wäre der Brief an eine vorwiegend heidenchristliche Gemeinde gerichtet, so müsste man annehmen, dass für diese - also für Christen der dritten Generation - der Unterschied von Juden- und Heidenchristen überhaupt nicht mehr existierte, oder gar, dass sie ihr Verhältnis zu Israel und die damit zusammenhängenden Fragen aus dem Blick verloren hatte. Doch das ist unwahrscheinlich. Eher wird man der durch die (vermutlich erst später hinzugefügte) Briefüberschrift "An die Hebräer" angedeuteten Spur folgend, an eine mehrheitlich judenchristliche Gemeinde zu denken haben. In diesem Fall könnte der Brief als Teil einer innerjüdischen Diskussion gelten, in der es um die Einordnung Jesu Christi in die gesamte Glaubensgeschichte des Gottesvolkes ging. Die vorherrschende Perspektive der Steigerung, die - vom ersten Vers (Hebr 1,1) an - das "mehr" und "größer" des Christusgeschehens herausstellt, scheint in diese Richtung zu weisen. Freilich hat es um die Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert schwerlich noch eine geschlossene größere judenchristliche Gemeinde gegeben, die nicht vom Problem des Heidenchristentums berührt gewesen wäre. Müsste man dann nicht angesichts der Ausblendung der ekklesiologischen Dimension der Bundesproblematik im Hebräerbrief annehmen, dass er und seine mehrheitlich judenchristlichen Adressaten die Kirche als das um die zum Glauben gekommenen Heiden erweiterte Gottesvolk Israel, das in ungebrochener Kontinuität zu seiner Geschichte steht, verstanden haben?
Das Verständnis und die Funktion aller dieser Aussagen mussten sich naturgemäß fundamental ändern, als Heidenchristen den Text lasen und ihn auf sich selbst bzw. auf die Kirche aus Juden und Heiden bezogen - eine Ausweitung, die der Text selbst gar nicht im Blick hatte.
2.7 Der "neue Bund" im Abendmahl als Zusammenfassung der Heilswirkung des Christusgeschehens
Besondere Bedeutung für das urchristliche Bundesverständnis haben die sogenannten Stiftungsworte des Herrenmahles. Zweifellos handelt es sich hier um dessen ältesten Anhaltspunkt an der frühchristlichen Überlieferung.
Den vier neutestamentlichen Belegen der Herrenmahlsüberlieferung 1.Kor 11,23-25; Mk 14,22-24; Mt 26,26-28; Lk 22,19-20 sind drei Grundelemente gemeinsam:
1. Das Brotwort:
(a) "das ist mein Leib" (Mk 14,22; Mt 26,26);
(b) "...das ist mein Leib für euch" (1.Kor 11,24), bzw. "...dies ist mein Leib, der für euch gegeben ist" (Lk 22,19), ("dies tut zu meinem Gedächtnis").
2. Das Becherwort mit dem Bezug auf "Bund" in zwei unterschiedlichen Fassungen:
(a) "Das ist mein Bundesblut, das für Viele vergossen wird" (Mk 14,24; Mt 26,28 fügt hinzu: "zur Vergebung der Sünden").
(b) "Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut ..." (1.Kor 11,25); bzw.: "das für euch vergossen ist" (Lk 22,20).
3. Das eschatologische Wort mit dem Ausblick auf die Gottesherrschaft:
(a) Amen, ich sage euch, ich werde nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken bis zu jenem Tag, wenn ich es neu trinken werde in der Königsherrschaft Gottes" (Mk 14,25; bei Mt 26,29 geändert in: "...wenn ich es mit euch trinken werde in der Königsherrschaft meines Vaters"); bzw.: "...ich sage euch, ich werde von nun an nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken bis die Königsherrschaft Gottes kommt" (Lk 22,18);
(b) "so oft ihr nämlich dies Brot esst und diesen Becher trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt" (1.Kor 11,26).
Ob das Bundesmotiv im Becherwort auf Jesus selbst zurückgeht, ist zwar nach wie vor umstritten, doch zeichnet sich in der neueren Forschung ein breiter Konsens für sein hohes Alter ab. Demnach hätte Jesus bei seinem Abschied aus der Jüngergemeinschaft die durch ihn ermöglichte Mahlgemeinschaft als den Ort gekennzeichnet, von dem her sich in Zukunft die profetische Erwartung einer umfassenden endzeitlichen Erneuerung des Gottesverhältnisses Israels, seines Bundes (Jer 31), realisieren werde. Dass er angesichts seines bevorstehenden Todes sein bisheriges Schweigen über den Bund brach, ist keineswegs unwahrscheinlich. Auch der Umstand, dass das Stichwort "Bund" in diesem Zusammenhang vielfältig theologisch befrachtet ist und unterschiedliche Bezüge offenhält, läßt es als durchaus möglich erscheinen, dass die Stiftung des Bundes für Jesus selbst Deutekategorie seiner Lebenshingabe gewesen ist.
Unverkennbar nimmt die Bundesformulierung des Becherwortes in Mk 14,24; Mt 26,28 Bezug auf 2.Mose 24,8 und damit auf den Bundesschluss vom Sinai: Mose besprengt dort das Volk mit dem "Blut des Bundes", um es so auf den mit Gott geschlossenen Bund zu verpflichten. Weil schon in der priesterlichen Theologie des Pentateuch Opfer Sühnewirkung haben, ist eine sündenvergebende Wirkung des Blutes schon in der Tradition mit im Blick. Freilich: Die Wendung "mein Blut des Bundes" zeigt an, dass der Bund, von dem Jesus spricht, in seinem eigenen Blut - d.h. in seiner Lebenshingabe - gestiftet ist. Diese besiegelt nicht nur eine Verpflichtung; sie ist vielmehr selbst Grundlage der Bundesstiftung in der Weise, dass sie Sühne schafft und damit den Weg für die Gemeinschaft der Bundesteilnehmer mit Gott frei macht. Es ist Gott selbst, der durch die Hingabe Jesu diesen erneuerten Bund setzt. (vgl. 1.Kor 11,23; vgl Röm 3,25). An eine Ablösung des Sinaibundes ist dabei in keiner Weise gedacht.
Das Abendmahl ist demnach von Jesus, zumindest aber von der ältesten Gemeinde, als Akt einer Bundsetzung verstanden worden, der die Grenzen des bisherigen Gottesvolkes Israel zwar nicht aufhebt, aber doch über sie hinausgreift. Dass mit dem Hinweis auf die "Sühne für die Vielen" im Becherwort (Mk 14,24; Mt 26,28) Jes 53,11f, das Wort vom Gottesknecht, der leidend für die "Vielen" eintritt, aufgenommen wird, steht dabei außer Frage. Schon im Kontext von Jes 53 sind damit nicht nur die Sünder in Israel, sondern darüber hinaus auch die Weltvölker mit im Blick (vgl. auch Jes 52,14f). In diesem Sinne wurde auch der auf Jes 53,11 anspielende Hinweis auf die "Vielen" im Brotwort bereits von der frühen Gemeinde (vielleicht sogar schon von Jesus selbst) verstanden im Sinne einer Öffnung dieser Bundsetzung zu den Menschen am äußersten Rande Israels, vielleicht sogar schon zu den Weltvölkern.
Doch wie ist der Bund, und was ist als Bund genau zu denken? Trotz der Aufnahme von 2.Mose 24 in Mk 14,24 und Mt 26,28 liegt eine ausdrückliche Verpflichtung der "Vielen" entsprechend der dort berichteten Selbstverpflichtung Israels (2.Mose 24,7) kaum in der Intention der Formulierung. Zudem ist keinesfalls zu übersehen, dass zwar der Tod Jesu und mit ihm dessen Sühnewirkung ein einmaliges Geschehen darstellt, die Wirkung bzw. Vermittlung aber an ein wiederholbares und zu wiederholendes Mahl und die dadurch gegebene Gemeinschaft gebunden wird. Ein Bund mit den (jeweiligen) Mahlteilnehmern, der dem Bund zwischen Gott und Israel analog wäre, ist also offenkundig nicht intendiert. Soweit die knappe Formel erkennen lässt, wird in ihr der Tod Jesu vielmehr als ein dem Sinaibund analoges Bundesgeschehen bezeichnet, dessen (sühnende) Wirkung auf die Vielen auch außerhalb Israels zielt und in der Mahlgemeinschaft angeeignet bzw. vermittelt wird.
Im Tode Jesu wäre dann nach dieser Deutung das verdichtet und realisiert, was einige alttestamentliche Texte als eschatologische Hoffnung formulieren: dass aus dem Bund mit Israel schließlich das Heil für die Völker erwächst, ohne dass diese einen eigenen Bund bekommen oder direkt in die Bundsetzungen Israels einbezogen werden. Zwar nicht im deutlich anklingenden Text von Jes 53 (wo von "Bund" nicht die Rede ist), wohl aber in Jes 42,6 wird gesagt, der Gottesknecht selbst werde zum "Bund des [Menschheits-]Volks" werden.
Paulus (1.Kor 11,25) und Lukas (Lk 22,19f) haben eine erweiterte Fassung des Becherwortes. Der Becher ist bei ihnen bezeichnet als "der neue Bund in meinem Blut". Als das entscheidende Merkmal dieses durch Jesu Lebenshingabe ermöglichten Bundes wird also nunmehr dessen Neuheit herausgestellt. Dass mit diesem Prädikat der Bezug auf die profetische Ankündigung eines "neuen Bundes" in Jer 31,34 verstärkt werden soll, kann als sicher gelten.
Dieser Bezug ist jedoch, ebensowenig wie in Jer 31 selbst, antithetisch zu verstehen. Weder ist die Ablösung der bisherigen Bundsetzungen Israels gemeint, noch ist daraus abzuleiten, dass dieser "neue" Bund sich hinsichtlich seiner Grundlagen und Voraussetzungen von jenen unterscheide, etwa in der Weise, dass für die bisherigen Bundsetzungen die Tora konstitutive Grundlage war, während der "neue" Bund sich auf die von Jesus geleistete, im Glauben durch die Bundesempfänger angeeignete Vergebung gründe. Vielmehr klingt bei dem Prädikat "neu" hier, nicht anders wie in Jer 31, das endzeitliche Handeln Gottes an.
Dies kommt zunächst unübersehbar im eschatologischen Ausblick der Stiftungsworte (Mk 14,25) zum Ausdruck: Das Mahl Jesu weist voraus auf jene zukünftige Mahlgemeinschaft, die bildhaft die bleibende Gottesgemeinschaft in der Vollendung darstellt, und ist zugleich deren Vorwegnahme. Damit wird eine Linie weitergeführt, die bereits vorösterlich durch die Mahlgemeinschaft Jesu im Zeichen der anbrechenden Gottesherrschaft (Mk 2,16; 6,35-44; 8,1-9; Lk 14,1-15) vorgeprägt war. Dieses eschatologische Motiv verbindet sich in der Herrenmahlstradition mit einem soteriologischen. In diesem Sinn bringt das Becherwort mit seinem Hinweis auf den "neuen Bund" die Heilswirkung des Todes Jesu mit dem neuen Bund von Jer 31 zusammen. Die Verheißung "ich will... einen neuen Bund schließen (Jer 31,31) wird als bereits erfüllt in der Selbsthingabe Jesu in den Tod verstanden und als Erneuerung des Bundes Gottes mit seinem Volk gefeiert. Dessen sühnende Wirkung zielt über Israel hinaus auch auf die Völkerwelt.
In Jer 31 wird verheißen, dass die Menschen in Israel aus ihrem Innersten heraus den Willen Gottes, die Tora, tun werden, und dass sich darin Gottes Sündenvergebung realisiert. Weil sich dabei das Geflecht von Gott, Tora und menschlichem Herzen verändert, hat die Rede vom "neuen Bund" immer mit einer neuartigen Geltung der Tora zu tun. Dieses erwartete Neue wird nun im Urchristentum als bereits gegenwärtig wirksam erfahren und geglaubt - mitten und trotz aller gegenläufigen Kräfte. Zum Verständnis eines solchen Bewusstseins wird man an die für die ersten christlichen Gemeinden konstitutive Geistbegabung denken müssen, wobei Gottes Geist die Menschen auf eine völlig neue Weise befähigt, aus ihrem Inneren heraus immer wieder den Willen Gottes zu tun.
Entsprechend hatte die von Jesus gestiftete Mahlgemeinschaft nicht nur zentrale Bedeutung für das Selbstverständnis der christlichen Gemeinde als einer vom Christusgeschehen bestimmten, auf die Endzeit ausgerichteten Gemeinschaft. Zu den verheißenen neuen Taten Gottes gehörte aber seit langem gerade auch das Hinzutreten der heidnischen Völker zum Gott Israels. Dementsprechend war die Entstehung von Gemeinden aus Juden und Heiden eine besonders gewichtiger Ausdruck dieses Neuen. Alles spricht dafür, dass sich auch die Heidenchristen bei der Beteiligung am Herrenmahl durch die Formulierung vom "neuen Bund" im Blut Jesu Christi als in diese Gemeinschaft einbezogen verstanden haben. Um so bedeutsamer ist der Umstand, dass weder in der Herrenmahlstradition noch sonst im Neuen Testament "Bund" als unmittelbar ekklesiologischer Begriff verwendet wird. Weder der Vorgang der Ausweitung des Heilsgeschehens auf alle Völker noch die neue Gemeinschaft selbst werden als Bund bezeichnet. Das Neue liegt vielmehr in dem durch Jesu Tod ermöglichten und im Mahl zugeeigneten neuen Gottesverhältnis durch die Sündenvergebung, genau wie es Jer 31 verheißen hat.
Weder Jesus selbst noch die neutestamentlichen Zeugnisse bezeichnen mit "Bund" eine von Israel unterschiedene Größe - das gilt selbst vom Hebräerbrief. Der Kontext des Herrenmahls, die darin aufgenommenen Traditionen sowie der Vorgang selbst weisen in eine andere Richtung.
Zum Verständnis des Vorgangs ist entscheidend, dass ein menschlicher Partner zu einem Bund und seine Zustimmung fehlen. Weder ist ein Bundesschluss mit einer kollektiven Größe "Kirche" irgendwo erzählerisch dargestellt, noch wird die individuelle Zueignung des Heils und der Eintritt in die neue Gemeinschaft je mit dem Bundesbegriff in Verbindung gebracht. Dies erfährt dadurch seine Bestätigung, dass das Neue Testament die Taufe, in der sich von Anfang an die Aufnahme in die christliche Gemeinde gültig vollzog, nirgends mit der Bundesthematik in Verbindung bringt. Sie galt nicht als Analogie zum Beschneidungsbund, der berit milla. Erst sehr viel später ist sie zwar religionsphänomenologisch, nicht aber theologisch dazu geworden. Offenkundig ist nach übergreifendem neutestamentlichen Verständnis der Bundesgedanke an der Christologie und an der Eschatologie orientiert - nicht jedoch an der Ekklesiologie. Der Zuspruch des Bundes, wie er sich im Becherwort des Herrenmahls vollzieht, realisiert die Wirkung des Todes Jesu - Sündenvergebung in Gestalt toraorientierter Herzenserneuerung bzw. Sühne "für die Vielen" außerhalb Israels - und weist ein in das Endgeschehen der heilvollen Selbstdurchsetzung Gottes zur Gemeinschaft mit allen Menschen. Dieser Zuspruch wird jedoch terminologisch nicht als Eintritt in einen Bund bezeichnet.
In Jesus bzw. in seinem Tod nimmt der Bund Gottes eine neue Gestalt an, in der sich alte eschatologische Verheißungen aktuell und vorwegnehmend realisieren: Verheißungen, die von einem neuen Bund mit der Verinnerlichung des Gotteswillens, von Sühne für die weltweite Völkerwelt und überhaupt davon reden, dass Gottes Bund mit seinem Volk über dieses hinaus auf das Heil für alle Menschen zielt.
Bleibt man bei den biblischen Traditionen und ihrer theologischen Sprache, dann geht es in diesem Vorgang weder um einen neuen Bund im Sinne eines anderen Bundes Gottes mit einer anderen Größe als mit Israel noch um eine Einbeziehung der Heidenchristen in den Bund Gottes mit seinem Volk. Die Rede ist vielmehr von einer durch Jesus in seinem Tod realisierten neuen Gestalt des einen Bundes, von dem es ja schon viele Gestalten gab, die sich nicht gegenseitig aufheben - diesmal allerdings mit Wirkungen, die weit über Israel hinaus reichen. Sie - und speziell die Aufnahme von Jer 31 - zielen naturgemäß zuerst auch und vor allem auf Israel. Indem Israel in seiner Mehrheit diese Gestalt seines Bundes mit Gott nicht annahm (Röm 11), verstärkte sich die Wirkung auf die Völkerwelt und blieb faktisch allein übrig.
2.8 Die Bedeutung des Bundesbegriffs für das frühchristliche Kirchenverständnis
Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten: Kein neutestamentlicher Text verwendet "Bund" direkt als ekklesiologischen Begriff. Die neue Gemeinschaft, die in den urchristlichen Gemeinden zwischen Juden und Heiden, vor allem aber zwischen Heiden und dem Gott Israels entsteht, wird an keiner Stelle als eigener Bund oder auch als Ausweitung des Bundes Israels bezeichnet oder beschrieben. Eher wird man von einer christologischen und soteriologischen Neuakzentuierung des Bundesgedankens sprechen können. Jesus Christus in seiner Person und seiner sühnenden Lebenshingabe ist unser Bund. In gleicher Weise wie das frühe Christentum die in der biblischen Tradition vorgegebenen großen eschatologischen Erwartungen und Begriffe Israels - wie Messias, Geist, Auferstehung, neue Schöpfung etc. - zur Deutung der neuen Erfahrungen des Christusgeschehens heranzog und mit diesen verband, verfuhr es auch mit dem Bundesbegriff.
Da die durch das Christusgeschehen entstehende neue Gemeinschaft jedoch als Wirkung des in Jesus und in seinem Tod Gestalt gewordenen Bundesgeschehens bezeichnet wurde, und zwar speziell im Zusammenhang der alle Grenzen überwindenden Mahlgemeinschaft, kam es im weiteren Verlauf zu einer Anwendung des Bundesbegriffs auch auf diese Gemeinschaft. Die Legitimität einer solchen Veränderung des biblischen Begriffs liegt in der Art dieser Gemeinschaft, insbesondere in der uneingeschränkten Gottesnähe, die der Glaube an Jesus Christus für die Heiden eröffnet. Diese Gemeinschaft verdiente es, mit den höchsten zur Verfügung stehenden Begriffen benannt und beschrieben zu werden. Die Gefahr einer solchen Verschiebung liegt nicht in der Begriffsumprägung, sondern darin, dass sich - paulinisch gesprochen - die eingepfropften Zweige über die sie tragende Wurzel erheben (Röm 11).
Das erweist sich an den frühen christlichen Zeugnissen außerhalb des Neuen Testaments. Wo überhaupt vom Bund die Rede ist, wird er Israel abgesprochen. Zum Beispiel spricht der Barnabasbrief (ca. 130-140) Israel den Bund Gottes radikal ab. Gott habe Israel den Bund (= Dekalog) gegeben, doch habe sich Israel wegen seiner Sünden als unwürdig erwiesen (14,1-4). Auf Grund des Leidens Christi gehöre der Bund allein den Christen. Diese polarisierende Sicht hat seit der Zeit der alten Kirche eine verhängnisvolle Wirkungsgeschichte gehabt.
2.9 Zusammenfassung
1. Israels Bundsetzungen sind für seine Identität bestimmend. Das haben Christen zu respektieren.
2. Wie der Bund Gottes mit Israel das Identitätsmerkmal Israels ist, so ist der Bund mit Israel ein Identitätsmerkmal Gottes selbst. Christen kommen durch Jesus Christus zu dem Gott, der sich unverbrüchlich mit Israel verbündet hat.
3. Bei der Frage, was der Bundesbegriff für das Selbstverständnis der christlichen Kirche zu leisten vermag, ist davon auszugehen, dass ein eigener Bund Gottes mit der Völkerwelt bzw. der christlichen Kirche weder im Alten noch im Neuen Testament belegt ist. Eine gewisse Ausnahme bildet der Noahbund. Er stellt als Zusage Gottes, das Leben auf dieser Erde zu erhalten, Grundlage und Voraussetzung für alle weitere Geschichte zwischen Gott und den Menschen dar.
4. Die Vorstellung, dass die aus den Heiden kommenden Christusgläubigen aufgrund des neuen Bundes dem eigentlichen Bundesvolk Israel - gleichsam als dessen äußerer Rand - assoziiert seien, wird dem neutestamentlich belegten Anspruch und damit dem Selbstverständnis der Kirche nicht gerecht.
5. Das Modell einer Hineinnahme der Kirche in die Bundsetzungen Israels entspricht nicht dem komplexen biblischen Gesamtbefund. Ebensowenig entspricht es dem legitimen, biblisch begründeten Selbstverständnis des jüdischen Volkes. Weder spricht das Neue Testament davon, dass Gott mit der Gemeinschaft der Christusgläubigen einen Bund geschlossen habe wie einst mit Israel am Sinai, noch bezeichnet es die individuelle Zu- und Aneignung der Christusgemeinschaft als Eintritt in einen Bund.
6. Die am biblischen Befund gemachten Beobachtungen sollten zu der Einsicht führen, dass der Begriff "Bund" keineswegs eine kritische Grenze zwischen Christen und Juden markiert. Die Kirche wird gerade nicht als Gegenbund zu Israel konstituiert.
7. Die einzige und damit entscheidende Verbindung von Bund und Heil für die Völker liegt in der Herrenmahlstradition. Durch die Formel vom "Blut des Bundes", das "für die Vielen vergossen ist", wird dem Tod Jesu eine dem Sinaibund entsprechende Sühnewirkung - jedoch auch für die Völkerwelt - zugeschrieben. In Jesus und seinem Tod verdichtet sich das, was einige alttestamentliche Texte vom Bund Gottes mit Israel sagen: In und mit ihm ist eine Perspektive für das eschatologische Heil der Völker, für ihr Kommen zum Gott Israels, gegeben. So wird der Begriff des Bundes in der neuen, durch das Christusgeschehen eröffneten Heilserfahrung aufgenommen.
8. Dagegen liegt das Neue im Begriff des "neuen Bundes" sowohl in der Abendmahlstradition wie im Hebräerbrief in der eschatologisch erneuerten Beziehung von vergebendem Gott, Tora und menschlichem Herzen, wie es sich in der Christuserfahrung realisiert. Es bleibt damit auf der von Jer 31 vorgezeichneten Linie.
9. Der Begriff "neuer Bund" ist damit vom Ursprung her für den christlichen Glauben keine ekklesiologische, sondern eine christologische Kategorie. Es geht weder um einen "neuen Bund", der den "alten" ersetzt, noch um eine einfache Hineinnahme der Kirche in den Bund Gottes mit Israel, und erst recht nicht um einen eigenen neuen Bund, der von dem von Jer 31 zu trennen wäre und für den Israel keine Rolle spielt. Vielmehr geht es um eine in Jesus und seinem Tod vollzogene eschatologische Vorausnahme des Zielpunktes von Gottes Bund mit Israel.
10. Ohne Zweifel dürfen wir uns als Christusgläubige aus den Heiden durch Jesus Christus mit Gott verbunden wissen, und zwar uneingeschränkt und in jeder Hinsicht. Der Begriff "Bund" verweist auf das Handeln Gottes, seine begleitende Treue, von der Juden und Christen gleichermaßen leben. Solange Begriffe wie "neuer Bund" und "Neues Testament" verwendet werden, um dies auszusagen, sind sie - trotz der damit gegebenen leichten Verschiebung gegenüber dem biblischem Sprachgebrauch - theologisch legitim, ja notwendig. Sobald derartige Begriffe aber als theologische Instrumente christlicher Überhebung über Israel mißbraucht werden, ist ihnen mit der gesamten biblischen Tradition entgegenzutreten.