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Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Evangelischen Kirche in Deutschland
Alemanha (2005/01/27)

 

Am 27. Januar 2005 (Bad Sassendorf) aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz

"Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht dem Elenden und Armen." (Sprüche Salomos 31,8-9)

I.
Allen Formen des Antisemitismus und Rassismus muss widerstanden werden. Dazu bekennt sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland anlässlich der Befreiung der Konzentrationslager Auschwitz I und Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 durch sowjetische Truppen. Die Bilder der Überlebenden erschüttern noch heute. Die seit dieser Befreiung immer tiefer erforschte und genauer erkannte Abgründigkeit des nationalsozialistischen Regimes mit seinem Vernichtungswillen gegen das europäische Judentum kann noch heute Menschen zutiefst erschüttern und fassungslos fragen lassen: Wie ist dieser Abgrund des Menschlichen möglich geworden? Wie konnten Mitgefühl und Humanität so radikal betäubt und zerstört werden?
Auschwitz ist Name und Symbol für die industrielle Vernichtungsmaschinerie des Hitlerregimes. Neben dem Vernichtungskrieg im Osten stehen die Mordmaschinen der Konzentrationslager für die Dunkelheit einer Zeit, die die Menschenwürde, das Mitgefühl mit dem Nächsten und die Solidarität verachtete.

II.
"Nicht nur durch, Unterlassen und Schweigen' ist die Kirche schuldig geworden. Vielmehr ist sie durch die unheilvolle Tradition der Entfremdung und Feindschaft gegenüber den Juden hinein verflochten in die systematische Vernichtung des europäischen Judentums" (aus: Kundgebung der 5. Tagung der 9. Synode der EKD vom November 2000). Wenn wir als evangelische Christen des 27. Januar 1945 gedenken, dann können wir dies nicht tun ohne schamvolle Erinnerung an die Judenfeindschaft, die auch unsere Theologie
lange Zeit durchzog. Ein religiös begründeter Antijudaismus ist nicht gleichzusetzen mit einem rassistisch begründeten Antisemitismus, aber wir müssen zugleich feststellen, dass der christliche Antijudaismus auch in der evangelischen Kirche Christen daran gehindert hat, "dem Rad in die Speichen" (D. Bonhoeffer) zu greifen. Trotz mancher mutiger Taten zur Rettung von Juden fallt auch auf die Kirche ein tiefer Schatten der fehlenden Solidarität mit dem älteren Glaubensbruder Israel. Es ist darum weiterhin unerlässlich, dass die evangelische Kirche, die seit ihrer Erklärung von Weißensee 1950 eine radika1e theologische Wende vollzogen und sich eindeutig gegen jede Art von Antijudaismus ausgesprochen hat, nicht nachlässt in der kritischen Aufarbeitung ihrer eigenen Tradition.

III.
"Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung", dieser bekannte Ausspruch des polnischen Juden und Chassiden Baa1 Schem Tow pointiert Sinn und Absicht des heutigen Gedenkens: Das Entsetzen über die Abgründe menschlichen Handelns und speziell die Scham der Enkel und Urenkel über die Taten und die Täter dürfen und sollen nicht verloren gehen im Gedächtnis der Gegenwart. Nur wer um die Abgründigkeit des Menschen und auch die Macht des Dämonischen weiß, wird Humanität und Respekt vor dem anderen, wird Achtung vor dem Mitmenschen und die unveräußerliche Menschenwürde aller zu verteidigen wissen. 60 Jahre nach Kriegsende geht es um die gemeinsame Erinnerung an die Katastrophe der Menschlichkeit, das Europa zusammenschweißt im Kampf gegen alle Formen von Antisemitismus, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit. Darum ist es unerlässlich, nicht nur dem beschämenden Verhalten der NPD-Mitglieder im sächsischen Landtag eine klare und deutliche Zurückweisung aller Demokraten zu geben, sondern auch in Zukunft den anhaltenden wiederkehrenden Phänomenen des Antisemitismus und Rassismus gemeinsam zu widerstehen.

 

 

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